32 ~ Alte Geheimnisse

269 28 6
                                    

„Nein, sie hat nicht gesagt, wann sie wiederkommt."

Pause.

„Es tut mir wirklich leid, ich weiß auch nicht was in Taluna gefahren ist."

Seufzendes Einatmen.

„Ja, sobald ich sie erreiche, sag ich ihr, dass sie Sie anrufen soll. Auf Wiederhören."

Missmutig drückte Nora auf die Austaste und warf das Telefon neben sich auf das Sofa. Ein zitterndes Seufzen entwich ihr und sie ließ ihr Gesicht in den Händen versinken. Draußen herrschte wunderschönes Wetter, Vögel sangen und der Garten erblühte in den schönsten Farben. Dennoch hatte Nora das Gefühl, als läge ihr eine Decke aus Eis auf den Schultern.

Nur mühsam konnte sie verhindern, dass sie anfing zu weinen. Der Blick in den Spiegel hatte ihr heute Morgen bewiesen, dass sie auch so schon schlimm genug aussah. Jedes einzelne ihrer Jahre konnte man ihr ansehen. Nora glaubte sogar, jede Stunde ein neues graues Haar zu bekommen.

Dieses Telefonat hatte ihr beinah den Rest gegeben. Sie wollte nicht ein einziges weiteres Mal die Lügengeschichte erzählen, die Cian ihr diktiert hatte. Taluna sei überraschend in den Urlaub gefahren. Nora gab einen Laut von sich, den nur ein Narr für ein Lachen gehalten hätte. Ihr armes Pünktchen war verschleppt worden und lag nicht irgendwo am Strand.

Ungefragt drängen sich Bilder aus der Vergangenheit in Noras Gedanken, rissen die alten Wunden auf und zerrten an ihrer Selbstbeherrschung. Ein leises Miauen ließ sie aufschauen. Zu ihren Füßen saß Pixi und sah sie mit traurigen Augen an.

„Du vermisst sie auch, nicht wahr?", fragte Nora und ihre Stimme drohte zu kippen. Sie streckte eine Hand aus und kraulte die Katze hinter den puscheligen Ohren, wofür sie mit einem leisen Schnurren belohnt wurde.

„Ich werde noch wahnsinnig", murmelte die schwarze Pantherin niedergeschlagen. Seit Sonntag hatte sie nichts mehr von dem jungen Mann gehört, der sich als harmloser Nachbar ausgegeben hatte. Fast hätte Nora hysterisch gelacht, als Cian Walker ihr von seiner eigentlichen Tätigkeit erzählt hatte: Er war Agent einer geheimen Regierungsabteilung. Sie war sich wie in einem schlechten Actionfilm vorgekommen, dessen Drehbuch der Autor auf die schnelle zusammengeflickt hatte.

Doch es war kein Film, sondern nackte Realität. Cian war zu Talunas Schutz nach Heyton eingezogen, doch die feindliche Organisation war schneller gewesen. Gern hätte Nora ihn für seinen Leichtsinn und seine Dummheit zusammengestaucht, doch sie hatte es bleiben lassen. Trotz ihres Schocks war ihr nicht entgangen, dass der junge Mann selbst sehr betroffen wirkte. Ihm schien es ebenso viel auszumachen wie ihr selbst. Wäre die Lage nicht so ernst gewesen, Nora hätte sich wie ein Honigkuchenpferd darüber gefreut.

Plötzliche Entschlossenheit überkam sie. Nora wusste, dass Cian noch in dem Haus des alten Harrisons wohnte. Ihre Nerven machten es nicht länger mit, dass sie nicht wusste, wie die Lage stand. Hatten sie den Schlupfwinkel der Entführer bereits gefunden? War eine Lösegeldforderung eingegangen? Würden sie diese erfüllen und Taluna freikaufen? Fragen über Fragen, die ihr nur ihr neuer Nachbar beantworten konnte.

Mit neuem Schwung stand sie auf, ging in den Flur und schnappte sich ihre Schlüssel. Ihre Schritte waren selbstbewusst, während sie aus dem Haus und die Straße hinauf lief. Sie würde diesen Jungspund nicht eher in Frieden lassen, ehe sie ihre Informationen hatte. Zielsicher ging sie die Auffahrt hinauf und erklomm die Stufen der Veranda. Die Türglocke klang schrill und überlaut in ihren Ohren, das Adrenalin und ihr mangelnder Schlaf ließen die Grenze zwischen Mensch und Hybrid dünn werden.

Ungeduldig wippte Nora mit einem Fuß – warum dauerte das den so lange? Es war mitten am Nachmittag, da sollte er schließlich wach sein. Endlich näherten sich Schritte der Tür, die Klinge wurde heruntergedrückt und sie stand... ihm gegenüber.

Love Me WildWo Geschichten leben. Entdecke jetzt