9 ~ Die Arbeit ruft

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Cians Augen brannten und er schloss für einen kurzen Moment die Lider. Er hatte Spannungskopfschmerzen und das erinnerte ihn daran, dass es mittlerweile ein Uhr nachts war.

'Verflucht, eigentlich genau meine Zeit', ging es ihm durch den Kopf. Frustriert stöhnte er auf und rieb sich übers Gesicht. Anfangs konnte es ihm gar nicht zu schnell gehen mit der Anpassung. Doch jetzt wäre er froh gewesen, wenn ihn die Müdigkeit nicht alle halbe Stunde übermannte.

Nachdem er seine Beobachtungen für den Tag beendet hatte, war er wieder ins Haus zurückgefahren. Ohne viel Zeit zu verlieren, hatte er sich an den Laptop gesetzt und seinen Bericht geschrieben. Mithilfe seines Diktiergeräts und der Digitalkamera war er in der Lage gewesen, beinah auf die Minute genau den Tagesablauf seiner Zielperson zu rekonstruieren.

„Mein Gott, Frauen haben zu viel Geld." Cians gedämpfte Stimme hallte unheimlich laut durch den verlassenen Raum. Er war einerseits beeindruckt und erschrocken gewesen, wie lange die drei Frauen durch die Läden gestreift waren. Würde jeder Soldat bei Einsätzen dasselbe Maß an Durchhaltevermögen und Lauffestigkeit an den Tag legen, läge die Erfolgsquote bei nahezu einhundert Prozent.

Cians Beine hingegen schmerzten und er würde wohl einen schönen Muskelkater bekommen. Nicht, dass er seit seiner Versetzung in den Innendienst faul geworden wäre. Er hielt sich fit – für den Notfall. Nach der Arbeit war er in der Morgendämmerung eine Stunde laufen gegangen. Zusätzlich hatte er Gewichte gestemmt. Sein Überlebensinstinkt hatte ihm keine andere Wahl gelassen. Seine Paranoia wäre nur größer geworden, wenn er sich nicht kampfbereit gefühlt hätte.

Seit gut zwei Tagen hatte er die Frau schon überwacht, ohne jegliche Probleme. Es kam ihm zu gute, dass die meisten Nairi in Städten ihre Sinne unterdrückten. Somit hatte sie ihn nicht wahrgenommen, wenn er ihr die ganze Zeit unauffällig gefolgt war. Er hatte vor, so lange wie möglich im Verborgenen zu bleiben und so viele Informationen zu sammeln wie möglich. Wer wusste schon, ob sich das Sonntagabend nicht änderte.

Aber heute war etwas schiefgelaufen. Die Zielperson hatte ihn bemerkt. Erst war Cian sich nicht sicher gewesen, als er ihr durch die Fußgängerzone gefolgt war. Immer wieder hatte sie sich umgedreht und mit ihren grauen Augen die Umgebung abgesucht. Allein Cians guter Tarnung war es zu verdanken gewesen, dass sie ihn nicht erspäht hatte. Gleich am ersten Tag ihrer Verfolgung hatte er sich ihren Geruch eingeprägt. Es war eine liebliche Mischung aus Flieder und Moos.

Für Nairi war es typisch, dass sie wie die Natur rochen. Kaum ein Gestaltwandler benutzte Parfum. Ebenso verhielt es sich mit allen anderen Kosmetika oder Haushaltsdingen, denen für normale Menschen ein Duft beigemischt wurde – allen voran das Waschmittel und die Seifen.

Cian schaffte es ohne Probleme auch jetzt, sich die Details der Aromen ins Gedächtnis zu rufen. Durch sein gutes Gedächtnis hatte er ihre Witterung nie ganz verloren, auch wenn er sich in einer Seitenstraße befunden hatte. Jedoch einmal, da war ihm beinah ein fataler Fehler unterlaufen – schon zum zweiten Mal in dieser Woche. Sie war mit ihren Begleiterinnen in ein Café gegangen. Erst nichts Ungewöhnliches, bis Cian durch den Sucher seines Objektivs etwas Seltsames bemerkt hatte. Die Ohren der jungen Frau hatten sich verändert. Misstrauisch hatte Cian näher herangezoomt und nicht bemerkt, wie der Wind die Richtung gewechselt hatte.

Sein Herz hätte fast ausgesetzt, als die Frau sich plötzlich kerzengerade aufgerichtet hatte. Schnell hatte er sich hinter einem der vielen Bäume versteckt und unwillkürlich die Luft angehalten. Ganz offensichtlich hatte sie ihre Sinne schweifen lassen. Durch die veränderte Windrichtung hatte sie seine fremde Witterung aufgenommen. Also wusste sie, dass er sie beobachtete.

Danach hatte Cian seine Beobachtung abgebrochen. Er musste nun besser aufpassen, um die letzten Tage ausreichend zu nutzen. Er konnte nur hoffen, dass sie seine Witterung nicht in der Nachbarschaft aufschnappen würde. Vielleicht hatte er ja ausnahmsweise Glück – auch wenn die Mission unter einem ungünstigen Stern zu stehen schien.

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