Glücklich lächelnd trank Taluna von ihrem Tee und blickte durch das Küchenfenster auf die weiße Schneelandschaft vor dem Haus. Es war nur noch eine Woche bis Heilig Abend und die Natur hatte sich bereits auf weiße Weihnachten eingestellt. Die kahlen Bäume und Sträucher waren mit einer dicken Schicht Puderzucker bestäubt, ebenso die Rasenflächen und Gehsteige. Die Luft roch frisch und sauber, selbst die beißende Kälte rückte bei diesem herrlichen Anblick in den Hintergrund.
„Luna, bist du noch da?", fragte eine besorgte Frauenstimme.
„Ja Mama", antwortete Taluna und ging wieder zum Küchentisch. Dort lag das Telefon, mit dem sie über Lautsprecher mit ihrer Mutter und ihrer Schwester telefonierte. Fast wäre Taluna wieder in Tränen ausgebrochen. Nachdem sie ohnmächtig geworden war, als sie vor vier Monaten ihre verlorenen Verwandten wieder gesehen hatte, hatte sie es anfangs nicht recht glauben wollen. Die beiden Frauen hatten sie nie allein gelassen – jedenfalls nicht absichtlich.
Es hatte Stunden gedauert, die ganze Geschichte zu erzählen. An jenem Tag vor fünfzehn Jahren war es einigen Spionen von PurHuman gelungen, die Existenz von Victors heimlicher Familie aufzudecken. Allerdings hatten sie nicht gründlich genug recherchiert, denn sie hatten statt Zwillingen mit einem Einzelkind gerechnet. Um Elena und Laurie zu schützen, hatte Victor sie in einer Nacht- und Nebelaktion aus dem Land geschafft und ihnen eine neue Identität gegeben. Statt Giordano hießen sie nun Flores und waren erst einige Jahre später wieder ins Land eingereist.
„Du musst verstehen Taluna, dass sie unmöglich Kontakt zu dir aufnehmen konnten", hatte Victor erklärt. Etwas hatte seine Miene verzerrt, das wie Bedauern und Schmerz ausgesehen hatte. Erst langsam erschloss sich Taluna, was für ein Opfer er wirklich für ihre Sicherheit erbracht hatte.
„Warum seid ihr nun hier?", war ihre Frage gewesen, die ihr aus tränenerstickter Kehle entwichen war.
„Es ist nicht länger notwendig, unsere Familienzugehörigkeit geheim zu halten." Laurie hatte sie glücklich angelächelt und wieder in die Arme genommen. Für Taluna hatte es sich angefühlt, auch wenn sie keine eineiigen Zwillinge waren, als wäre ein Teil von ihr wieder zu ihr zurückgekehrt.
Cians Vermutung bezüglich PH hatte sich in den folgenden Wochen bewahrheitet: Dank der Informationen von Jake hatte es Phönix tatsächlich geschafft, PurHuman bis auf die Grundmauern niederzureißen. Nach zahllosen Festnahmen und Razzien waren die Terroristen entweder in den Gefängnissen des Landes untergebracht oder in alle Winde verstreut. Dies erlaubte schließlich, das Schutzprogramm von Phönix zu lockern. Taluna hatte die Vermutung, dass nicht nur ihre Familie wieder zueinandergefunden hatte.
„Und es macht dir sicher nichts aus uns vom Flughafen abzuholen?", hakte ihre Mutter wohl zum zehnten Mal nach. Beide wollten über Weihnachten zu Besuch kommen. Die Frage, ob sie wieder zurück nach Heyton ziehen wollten, war noch offen. Aber Taluna war das vorerst vollkommen egal – Hauptsache, sie hatte ihre Familie wieder.
„Nein, es macht mir nichts aus", sagte sie und lächelte wieder.
„Laurie, du darfst übrigens gern deinen Freund mitbringen."
„Ich weiß nicht", murmelte ihre Schwester und Taluna konnte sich ihr unbehagliches Gesicht vorstellen. Nachdem sie ihr einige Horrorgeschichten von den Kuppelversuchen ihrer Nonna erzählt hatte, wollte Laurie lieber nicht mit ihrem Liebsten anreisen.
„Tu nicht so, er wird eure Großmutter lieben", prophezeite Elena und lachte leise.
„Wenn Zane mir den Laufpass gibt, ziehe ich euch allen das Fell über die Ohren", drohte Laurie.
„Nonna kann wirklich charmant sein", versicherte ihr Taluna.
Laurie antwortete ausweichend: „Mal sehen..."
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Love Me Wild
WerewolfIn einer modernen Welt leben Menschen und Gestaltwandler friedlich zusammen. Scheinbar. Die junge Panther-Wandlerin Taluna gerät mitten hinein in einen Konflikt, der seit Jahren unter der Oberfläche brodelt. Nur der Leoparden-Wandler Cian kann ihr h...