8 ~ Eis im Sonnenschein

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Zum tausendsten Mal an diesem Tag drehte sich Taluna um und – sah niemanden. Schon den gesamten Nachmittag fühlte sie sich beobachtet. Aber jedes Mal, wenn sie glaubte zu wissen, von wo, war dort niemand. Sie war zusammen mit Gloria und Kathlen in der Fußgängerzone von Heyton unterwegs und obwohl es sehr warm war, lief es ihr in regelmäßigen Abständen kalt den Rücken hinunter.

Die beiden Frauen hatten sich ausnahmsweise den Donnerstagmittag frei genommen. Und Taluna hatte doch noch einige ihrer kostbaren Überstunden geopfert. Nachdem sie am Vormittag beinah mit dem Kopf auf den Tisch geknallt war, hatte Susan sie schließlich dazu überreden können. Also frönte sie zusammen mit ihren beiden Freundinnen ihrem einzigen Laster – Shopping.

Da Heyton – so wie beinah alle großen Städte – beinah frei von jeglichen Wolkenkratzern war, hatte es eine wunderschöne Innenstadt. Durch das Tier in den Nairi, dass sie trotz ihrer dauerhaften Wandlung zum Menschen nicht vollkommen unterdrücken konnten, waren die Städte und Siedlungen offen und möglichst naturbelassen gestaltet worden. In engen Gassen, riesigen Gebäuden und dunklen Büros fühlten sie sich nicht wohl. Somit waren die Bürogebäude relativ niedrig, hatten viele Fenster und überall in der Stadt wuchsen Bäume, Büsche und Hecken.

'Verdammt', ärgerte sich Taluna im Stillen und unterdrückte ein Seufzen. Eigentlich war es viel zu warm und sonnig für eine Gänsehaut, aber Taluna konnte dieses Gefühl beim besten Willen nicht abschütteln. Ein unsichtbarer Eiswürfel glitt ihr in regelmäßigen Abständen den Rücken hinunter und ließ sie frösteln.

Als sie Kathy und Gloria davon erzählte, sahen beide sie ungläubig an. Frustriert warf Taluna die Arme in die Luft und meinte pampig: „Es ist schon schlimm genug, dass ich mich anseht als wäre ich verrückt. Aber wenn ich daran denke, dass ich in eurer Praxis jeden Tag mit Verrückten zutun habt, lässt mich das wenig hoffen."

Kathy schüttelt stumm den Kopf, während Gloria sich versöhnlich bei Taluna einhakte. „Kann ein Eis mit viel Sahne unsere miesepetrige Miezekatze wieder aufheitern?"

Missbilligend sah Taluna zu ihrer Freundin und fauchte sie an. Ungehalten schüttelte Gloria den Kopf und ihre dunkelbraunen Locken hüpften fröhlich.

„Böses Kätzchen. Wo hast du denn deine Manieren gelassen?"

„Die liegen leider daheim unterm Bett. Du weißt genau, dass ich es hasse, wenn du mich so aufziehst."

Gespielt getroffen legte Gloria ihre Hand auf die Brust und sah Kathy bestürzt an. „Haben Sie das gehört Dr. Nilsen? Die Patientin ist offensichtlich gereizt."

Kathy biss sich auf die Innenseite der Wangen und nickte ernst. „Da haben Sie Recht meine Liebe. Dennoch würde ich Ihnen davon abraten, sie noch weiter zu provozieren."

Aus Talunas Kehle drang ein Laut, der nichts Menschliches mehr an sich hatte. Eher etwas von einem wirklich wütenden Tier.

Schnell eilte Kathlen an die andere Seite ihrer Freundin und hakte sich ebenfalls bei ihr ein. „Ruhig Blut. Wenn du so weitermachst, sträubt sich bald dein Fell."

Gezielt atmete Taluna ein und aus, wie sie es schon im Kindergarten gelernt hatte. Schon früh bekamen die Kinder der Nairi Unterricht in solchen Beruhigungstechniken. Denn keiner wollte, dass auch nur aus Versehen ein menschliches Kind verletzt wurde, nur weil sich ein junger Nairi nicht beherrschen konnte.

'Ja, Stärke erfordert ein hohes Maß an Disziplin', rief sich Taluna den Lehrspruch ihrer Kindergärtnerin in Erinnerung und merkte, wie sich ihr Temperament langsam wieder abkühlte.

Zu dritt und Arm in Arm gingen die Frauen auf ihr Lieblingseiscafé am Marktplatz von Heyton zu. Es war eine weite Fläche, die mit hellen Steinen gepflastert war und in deren Mitte ein hoher Brunnen stand. Gesäumt von vielen kleinen Geschäften, Restaurants und Cafés war es ein idyllisches Flecken, das Taluna schon oft fotografiert hatte. Auch heute hätte sie gerne ihre Kamera dabeigehabt, um das Sonnenlicht einzufangen, das im Wasser des Brunnens funkelte.

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