Lawinengefahr (Teil 2)

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Nur vage registrierte ich, dass ich tief im weichen Schnee lag. Mit jedem meiner zittrigen Atemzüge gerieten eiskalte Flocken in meine Atemwege, brannten die Luftröhre hinab und ließen mich schließlich in einen unkontrollierten Hustenanfall ausbrechen. Die nackte Panik saß mir noch immer allzu präsent in den Knochen, während ich mich mühsam zu einer ruhigen Atemfrequenz zwang. Ängstlich bewegte ich meine Finger und Zehen, dann Arme und Beine, doch alles schien noch dran und einigermaßen unversehrt zu sein.

Mein Kopf hämmerte wie verrückt, als ich ihn ein winziges Stück zur Seite bewegte, um das Gewicht von einer unangenehm pochenden Stelle an der Rückseite zu nehmen. Meine Augen, meine Nase, einfach alle Stellen, an der der Schnee mit nackter Haut in Berührung gekommen war, brannten höllisch, fühlten sich an wie eiskaltes Feuer. Stöhnend versuchte ich, mich in meinem unfreiwilligen Schneebett herumzudrehen, um mich daraus hervor zu kämpfen, fiel jedoch mit einem Ächzen auf den Rücken zurück, als meine Rippen linksseitig mit stechendem Schmerz gegen die Bewegung protestierten.

Fuck.

Für einige weitere Sekunden verharrte ich in liegender Position und versuchte, die grauen Punkte vor und die Feuchtigkeit in meinen Augen wegzuzwinkern, und das unbarmherzige Stechen zu ignorieren, das jeden einzelnen Atemzug begleitete. Nur langsam gewann ich meine Sehkraft zurück, und noch langsamer die Fähigkeit zum geordneten Denken.

Halbdunkel umgab mich. Bewegungslos begann ich, nur mit den Augen meine Umgebung in mich aufzunehmen, registrierte die steilen, hohen Felswände links und rechts, gefolgt von dem beängstigend weit entfernten Tageslicht am oberen Ende, das durch einen schmalen Spalt in der Schneedecke hereindrang. Und natürlich die rauen Mengen an Schnee und Eis, die sich an der rechten Wand schräg nach oben türmten und dort mit der so entsetzlich weit entfernten Kante abschlossen.

Mein Gehirn arbeitete weiterhin zäh, setzte nur schleppend all die Eindrücke wie Puzzleteile zusammen, um sich ein Bild von der Realität zu verschaffen.

Eine Felsspalte. Ich befand mich in einer Felsspalte.

Und ich war nicht tot. Ich war nicht tot.

So wenig ich wusste, wie ich hier jemals hinauskommen sollte, war ich mir doch bewusst, dass mir diese gottverdammte Felsspalte wohl das Leben gerettet hatte. Ansonsten wäre ich vermutlich irgendwo unter drei Tonnen eiskalten Schnees erstickt, bevor mich irgendjemand daraus hätte bergen können.

Gerade als ich in einen erleichterten Heulkrampf ausbrechen wollte, schoss mir ein anderer Gedanke durch den Kopf, und im nächsten Moment fuhr ich abrupt aus meiner liegenden Position empor, ungeachtet der kreischenden Schmerzen, die mir in Folge dessen ungeschont durch Kopf und Brustkorb zuckten.

Zayn. Wo war Zayn?

Am liebsten hätte ich mich getreten. Wieso dachte ich erst jetzt daran, dass ich Idiot nicht alleine von der Lawine mitgerissen worden war? War ich wirklich so ein Egoist? Auch wenn Zayn und ich definitiv nicht gerade gut miteinander klarkamen und vermutlich kurz davor gewesen waren, handgreiflich zu werden, schnürte mir die Angst um ihn die Kehle zu.

Okay. Denk nach, Horan. Denk nach.

Kurz vor dem Sturz hatten wir uns unmittelbar nebeneinander befunden, hatten nach einander greifen können, also konnte er nicht weit abgeblieben sein. Erneut spülte eine Welle der Furcht über mich hinweg. Was, wenn er von der Lawine über die Spalte hinweggetragen worden war? Wenn er nun irgendwo unter den Massen der todbringenden Kälte begraben war, ohne Möglichkeit zur Flucht? Wenn er ... tot war?

Heiße Furcht überfiel mich, drohte mich fast zu ertränken. Der Gedanke, dass Zayn, dieser eine Mensch, den ich über Jahre hinweg mit ganzem Herzen geliebt hatte (und es wohl trotz allem immer noch tat), hier und jetzt für immer von mir gegangen sein könnte, war erstickend.

One Shots (Larry, Ziall, Niam, Narry)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt