Criminal? (Teil 2)

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NIALL

Angestrengt ging ich im Kopf die Eindrücke durch, die mein benebeltes Gehirn während der letzten fünf chaotischen Minuten gewonnen, aber noch keine Gelegenheit bekommen hatte, diese zu verarbeiten.

Drei Täter, der Statur und den Stimmen nach zu urteilen alle drei männlich und noch recht jung. Einer von ihnen war auffallend groß, mit breiten Schultern, ansonsten recht schlaksig. Er war derjenige mit den lachhaft eleganten Schuhen. Er stand mit dem durchgeschwitzten älteren Bankmitarbeiter gerade drüben im Raum mit den Safes und zwang den armen Herren dazu, jeden einzelnen davon aufzuschließen. Der Mann jammerte und flehte dabei unablässig über das Vermögen der Kunden und dass sie das doch nicht machen könnten und bla bla bla, doch mir persönlich war das Geld schnurzegal.

Ich wollte einfach nur lebend hier rauskommen.

Täter Nummer 2 stand nach wie vor breitbeinig vorne an der Tür, was tatsächlich im Ansatz lustig hätte sein können, da er wirklich nur über eine relativ ... geringe Körpergröße verfügte. Ich selbst war ja auch nicht unbedingt der Allergrößte, aber dieser Typ dort drüben könnte eventuell sogar noch ein paar Millimeter kleiner sein als ich. Lustig war es am Ende jedoch selbstverständlich eher weniger, immerhin verdeutlichte seine Körperhaltung unmissverständlich, dass er seine Waffe zielgerecht zu benutzen wusste.

Und dann war da natürlich noch Täter Nummer 3 mit den Schokokaramell-Augen. Ich müsste lügen, um zu behaupten, dass es mir diese Augen nicht auch nur ansatzweise angetan hätten. Natürlich hatte ich schon viele Leute mit braunen Augen zu Gesicht bekommen, aber noch nie hatte ich bei irgendjemandem eine Iris von einem derartigen Braunton gesehen. So sanft ineinanderfließende Nuancen, so einlullend – und somit in krassem Kontrast zum Rest des Auftretens.

Oder hatte ich etwa doch?

Konzentriert ließ ich den heutigen Tag noch einmal im Kopf ablaufen, bis meine Gedanken schließlich an dem jungen Mann hängenblieben, den ich hier im Raum gesehen hatte, während ich mit Warten beschäftigt gewesen war. Der junge Mann mit den Tattoos und den unglaublichen Augen. Jene unglaublichen Augen, die gerade eben vielleicht zwei Zentimeter von meinem Gesicht entfernt gewesen waren – und deren Besitzer damit gedroht hatte, mir das Gehirn aus dem Kopf zu pusten.

Fuck.

Ich kannte das Gesicht von einem der Täter. Und das nicht nur vage, nein. Diese Gesichtszüge würde ich überall wiedererkennen, immerhin war er mir nicht umsonst von Sekunde 1 an aufgefallen. Beim Gedanken daran, dass ich mich an den Typen herangemacht hätte, sofern sich eine Gelegenheit ergeben hätte, wurden meine Wangen heiß. Da hätte ich mir dann wohl oder übel einen waschechten Kriminellen geangelt.

Mit klopfendem Herzen verfolgte ich, wie Schokokaramell mit seinem großen Kollegen ein paar Worte tauschte, bevor sie dem Zwerg an der Tür zunickten. Dieser reckte in stummer Kommunikation die Daumen in die Höhe, woraufhin Schokokaramell resoluten Schrittes zum Schalter hinüberstapfte. Der durchgeschwitzte Herr, den sie zum Öffnen der Safes gebraucht hatten, saß mittlerweile wieder bei den anderen Leuten auf dem Boden und putzte fahrig mit den wenigen noch trockenen Teilen seines Hemdes die verschmierten Gläser seiner Lesebrille.

„Fünfhunderttausend."

Ich verrenkte mir fast den Hals, um sehen zu können, wie der große Stiefelettentyp mit kehliger Stimme in das Telefon bellte, das ihm Schokokaramell eben über den Tresen hinweg gereicht hatte.

„Um Punkt 18 Uhr, das ist es in einer halben Stunde. Keine Minute später. Keine Minute früher. Und halten Sie Ihre Leute zurück. Sollten Sie unsere Anforderungen nicht erfüllen ..." Durch die Schlitze seiner Sturmhaube hindurch ließ er seinen forschenden Blick über die Anwesenden gleiten, den ebenfalls sichtbaren Mund zu einem süffisanten Grinsen verzogen. „Dann stirbt die erste Geisel."

One Shots (Larry, Ziall, Niam, Narry)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt