43) Uneins

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Weit kommen wir leider nicht. Als wir den Fuß der Treppe erreicht haben, öffnet sich die Portaltür.

"Sieh an, wen haben wir denn da, das Wildkätzchen." Erit steht breitbeinig im Eingangsbereich. Noch ekelerregender als seine Worte, ist das breite Grinsen auf seinem Gesicht.

Zwei weitere Brüder stehen hinter ihm und werfen mir einen Blick über Erits Schultern zu. Auf weitere Konversation verzichte ich gerne und fürs Erste habe ich auch genügend neue und altbekannte Familienmitglieder getroffen.

Da der Ausgang versperrt ist, ziehe ich Aljan in Richtung des Durchlasses zu seinem Vater. Aber natürlich habe ich nicht bedacht, dass Erit und die anderen uns folgen werden. Dumm von mir, aber ich bin noch zu sehr durcheinander von den Bildern in Tenebris Traumzimmer.

Tenebris liegt noch immer unverändert auf den Decken. Mit vor der Brust gefalteten Händen, die keinen Atemzug erkennen lassen. Wenn überhaupt wirken seine Wangen noch wächserner und fahler. Blaue Adern zeichnen sich deutlich unter der blassen Haut ab.

Ehe ich bemerke, was ich tue, habe ich einen Finger mit Speichel benetzt und vor seine Lippen gehalten.

"Wie rührend", höhnt Erit.

Ich spüre Aljans Hand auf meiner Schulter.

"Schäm dich", zischt er in seine Richtung, "immerhin hat sie sich um Vater gekümmert, während du dich mit irgendwelchen Mädchen auf irgendeiner Party vergnügt hast."

Erit steht am Fußende des Bettes, die beiden neuen Brüder links und rechts zu seiner Seite. Weiter könnten sie gar nicht von ihrem Vater entfernt stehen.

"Ich weiß eben, wie man das Leben genießt."

Bevor Aljan etwas erwidern kann, tauchen auch Anden und Kolmas auf.

Kolmas lacht amüsiert. "Unser Bruder hier hat sich auch ganz gut amüsiert, wenn man Vaters Traumbildern Glauben schenken darf."

Anden tritt zu Aljan und klopft ihm auf die Schulter. "Und dabei tut er immer so unschuldig."

Aljan windet sich und schüttelt die Hand ab. "Du weißt, dass das nur Vaters Träume abbildet. Nicht meine und mit Sicherheit nicht die Realität." Irgendetwas auf der Decke seines Vaters scheint seine Aufmerksamkeit dermaßen zu fesseln, dass er nicht aufblicken kann. Seine Miene wirkt starr wie eine Maske, aber keine Spur einer Röte ist auf seinem Gesicht zu erkennen.

"Darum sollte es jetzt auch nicht gehen." Mit der Hand weist er auf seinen reglosen Vater.

"Stimmt", pflichtet Erit bei. "Wir haben Wichtigeres zu besprechen. Nach Vaters Tod werde ich als sein erster Sohn der neue Fürst. Dann gelten hier andere Regeln." Ich kann nicht verhindern, dass mein Blick zu ihm wandert. Ein diabolisches Grinsen verunstaltet sein Gesicht zu einer bösen Fratze.

Die beiden Brüder zu Erits Seite schauen unbeeindruckt, aber ich höre, wie sowohl Anden als auch Kolmas scharf die Luft einziehen.

"Noch ist er nicht gestorben", entgegnet Anden.

"Er wird auch nicht sterben", erwidert Aljan und ich muss mich wundern, wie bestimmt er klingt.

"Ich sehe, du bist und bleibst ein Optimist. Naiver Wunschdenker! Wird Zeit, dass dir das mal jemand austreibt. Wart's nur ab, bald ändert sich einiges." Die Drohung in Erits Stimme lässt mir das Blut in den Adern gefrieren.

"Schämt euch, wenn euch euer Vater hören kann", werfe ich ein. "Jetzt ist erst einmal wichtig, dass wir ihm helfen. Wenn er tot ist, könnt ihr immer noch über seine Nachfolge streiten. Aber noch atmet er."

Am Ende des Satzes ringe ich atemlos nach Luft. Meine Wangen glühen. Alle Blicke sind auf mich gerichtet - von erstaunt, über amüsiert, bis bewundernd. Weil ich nichts mehr sagen kann, stemme ich die Hände in die Hüften und erwidere die Blicke.

"Ach Wildkätzchen, da hat unser Sonnenschein hier ja wirklich eine Frau gefunden, die hervorragend zu ihm passt." Erit legt in einer Geste gespielten Spotts seine Hände auf seine Brust und seufzt theatralisch.

"Erzähl von Vaters Traumbildern", wendet er sich an Kolmas. Ich bin einerseits froh, dass seine Aufmerksamkeit dadurch von mir abweicht, andererseits glühen durch Kolmas detailierte Ausführungen meine Wangen noch mehr.

"Genug jetzt", befiehlt Aljan. Er wirkt immerhin nicht peinlich berührt, sondern allerhöchstens genervt. "Wir müssen jetzt zusammenhalten, sonst bleibt hier bald nichts übrig, das du regieren könntest, Erit." Er sieht seinen Bruder scharf an.

"Und wer hat dich zum Bestimmer auserkoren?", fragt dieser.

"Niemand und ich habe hier auch nichts bestimmt und werde es auch nicht tun. Das sollten wir gemeinsam entscheiden", erwidert Aljan.

"Aljan hat Recht", pflichtet Anden bei. "Wir haben zwar noch nie zusammengehalten, aber wenn wir so weitermachen, bleibt hiervon nichts übrig." Er vollführt eine vage Geste mit seinen Händen.

"Wenn schon nicht für Vater, dann wenigstens für das, was er geschaffen hat", bittet Aljan.

"Und was schlägst du vor?", erkundigt sich Kolmas. Seine goldenen Augen wandern immer wieder zu mir, als würde er auch von mir eine Antwort erwarten, aber mein Mund fühlt sich immer noch an wie ausgetrocknet.

Aljan zögert einen Moment, schaut mich an und scheint irgendetwas zu sehen, dass ihm weiterhilft. "Dalerana und ich haben ein paar Ansätze, denen wir gerne nachgehen würden." Meine Augen weiten sich. Haben wir das?

"Aber ich würde Vater nur ungern zurücklassen. Wenn ihm etwas geschieht-" Aljan stockt. Ich höre, wie er schluckt, bevor er weiterspricht. "Wenn Vater stirbt, stirbt die Hölle mit ihm." Er fixiert Erit mit einem Blick, den ich nicht deuten kann.

Es ist Erit, der zuerst seine Augen niederschlägt. "Ich spiele hier nicht den Babysitter", murrt er.

Aljan übergeht seinen Einwand, schaut von Erit zu Kolmas und Anden. "Könntet ihr hier die Stellung halten, bis wir zurück sind?"

Kolmas nickt. "Ich für meinen Teil sicher. Was ist mit dir, Anden?"

Der legt für einen Augenblick den Kopf schief. "Ich weiß nicht. Eigentlich habe ich noch anderes zu tun."

Kolmas seufzt. "Dann eben nicht. Ich kann mich auch alleine um Vater kümmern. Na los, dann verschwindet schon. Umso schneller seid ihr wieder zurück."

Erit lässt sich das nicht zwei Mal sagen. Er dreht sich um und geht. Ich starre ihm hinterher, bis er zwischen dem Durchgang verschwunden ist. Auch die beiden anderen Brüder wenden sich wortlos ab und eilen Erit hinterher.

Ich habe kein gutes Gefühl dabei, ganz und gar nicht. Eigentlich sollte das nach allem nicht weiter verwunderlich sein, aber irgendetwas sagt mir, dass Erit etwas vorhat. Etwas, das mir ganz und gar nicht gefallen wird.

Ich reiße meinen Blick los und wende mich Kolmas zu. Ob wir ihm wenigstens vertrauen können?

Aljan scheint ähnliche Überlegungen angestellt zu haben. "Ruf mich, wenn etwas ist", bittet er. Dann fällt sein Blick auf mich und er deutet zum Ausgang. "Bereit?", fragt er.

Ich nicke, auch wenn ich nicht weiß, für was genau ich bereit sein soll.

Kolmas winkt uns hinterher. "Keine Sorge, ich mach das schon. Viel Spaß!" Er zwinkert mir zu. "Nicht vergessen: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen."

Brennende Feuer - Dunkle SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt