37) Kopie und Fälschung

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Kaum dass wir wieder auf den Gang treten, umfängt uns ein tiefroter Wirbel, der wie ein Orkan über uns hinwegfegt. Schwarze Nebelfetzen mischen sich darunter und schlingen sich um alles, dessen sie habhaft werden. Meine Füße und Hände, die nun wieder feste Substanz haben. Und Aljans, der gerade genervt selbige schüttelt und sich besorgt umblickt, ehe er seinen Gang beschleunigt.

Auch ohne dass er es ausspricht, weiß ich, was es bedeutet. Zwei Dinge. Erstens: Sein Vater ist zurück.

Zweitens: Es ist nicht gut gelaufen.

Ohne zu zögern falle ich hinter Aljan in ein zügiges Tempo und folge ihm. Meine Neugier übersteigt meine Furcht vor Tenebris oder vor den Antworten, die er uns liefern wird.

Als ich kurz hinter Aljan hinter dem Vorhang hervortrete, der in die mit Lesepulten, Tischen und Sesseln gefüllte Vorhalle der Bibliothek führt, eröffnet sich uns ein weiters Vorzeichen für schlechte Nachrichten.

Tenebris eilt zwischen den Pulten auf und ab in einem Tempo, dass ich dem alten Herrn kaum zugetraut hätte. Selbst sein Hinken scheint ihn nicht daran zu hindern, ganz offensichtlich seine Wut abzuarbeiten und abzureagieren. Der dunkle Holzfußboden verschwindet stellenweise unter Türmen von Büchern und Schriften. Es ist ein ungewohnter Anblick und als ich zu Aljan schaue, sehe ich, wie sich Entsetzen und Unglauben in seinen Augen mischen. Er macht ein paar vorsichtige Schritte nach vorne, bückt sich, hebt einen alten Folianten auf und legt ihn sorgsam auf einen der Tische. Im gleichen Moment erreicht Tenebris einen der anderen Tische und fegt mit dem Handrücken darüber. Mit einem hässlichen Geräusch verteilen sich die Bücherstapel, die sich gerade noch ordentlich in die Höhe türmten, in einem wilden Durcheinander auf dem Parkett.

"Vater!", zischt Aljan. "Es reicht." Mutig schneidet er seinem alten Herrn den Weg ab und wird beinahe von diesem zur Seite gestoßen, ehe sich Tenebris an der Tischplatte abfängt, bevor er selbst zu Boden stürzen kann. Er keucht und sinkt in sich zusammen. Ich weiß nicht, wie, aber im nächsten Augenblick bin ich bei ihm und schiebe ihm einen Stuhl hin. All seine Energie verlässt ihn wie einen Luftballon, dem die Luft entweicht. Er fällt in sich zusammen.

"Vater, was ist passiert?"

Tenebris bringt die Kraft auf und schnaubt.

"Sie hat meine Entschuldigung nicht angenommen, hat mich nicht einmal ausreden lassen."

"Warum nicht?" Die Antwort scheint unwichtig zu werden, als sein Blick über das gesenkte Haupt seines Vaters wandert und auf dem Durcheinander auf dem Boden hängenbleibt. Aljan stößt einen gepressten Laut aus und stürzt sich auf etwas ganz zu unterst. Unter all den Schriften und schweren Bänden zieht er etwas hervor, das aussieht wie eine Flöte. Nein, keine Flöte. Eine aus altem, vergilbtem Pergament gewickelte Rolle. Sorgsam streicht Aljan eine abstehende Ecke glatt und blickt seinen Vater ungläubig an. Wenn seine Augen Funken sprühen könnten, sie würden es tun. Seine Finger streichen einer nach dem andern über das, was ich fälschlicherweise für die Löcher eines Musikinstruments gehalten habe. Es sind sieben in der Mitte gebrochene Siegel, die die Rolle nur noch notdürftig zusammenhalten.

"Du hast ihr nicht einmal die Schriftrolle zurück gebracht?" Aljans Stimme klingt genauso ungläubig wie sein Blick. Anklagend hält er die Rolle in die Höhe und reibt sich über die Stirn.

Tenebris lacht, hebt seinen Kopf und dann langsam seine Hand, als würde er Aljan das Pergament aus der Hand schlagen wollen, aber so weit reicht seine Kraft nicht mehr. Sein Lachen wird kratziger und endet schließlich in einem Hustenanfall. Auch ich strecke meine Hand aus, lasse sie aber auf halbem Weg zu Tenebris Brust anhalten, weil ich es nicht über mich bringe, ihn zu berühren.

Er krächzt mühsam ein paar Worte hervor. Aljan und ich beugen uns zeitgleich näher zu ihm, um sie zu verstehen. Trotzdem muss ich mich verhört haben. Das, was ich meine vernommen zu haben, kann unmöglich wahr sein. Aber Aljan scheint dasselbe verstanden zu haben. Seine Augen weiten sich noch mehr und seine Finger wandern erneut über die Siegelrolle.

"Das ist nicht dein Ernst, Vater. Wie konntest du nur?"

Tenebris Husten wandelt sich in ein Lachen. Auch seine nächsten Worte sind nur mühsam zu verstehen. "Du ahnst gar nicht, wozu ich alles in der Lage bin."

"Wozu du in der Lage warst, Vater", verbessert ihn Aljan. "So wie es aussieht, bist du nicht mehr sehr gut darin, alte Schätze zu kopieren. Wie konntest du nur glauben, du könntest Sophia täuschen?"

Doch Tenebris bleibt stur und unbeugsam. "Ich habe schon ganz andere getäuscht."

Aber auch Aljan ist ganz der Sohn seines Vaters. "Sie ist nicht irgendein Kunstexperte irgendeines Museums. Sie ist die Göttin der Weisheit. Wenn sie eine Fälschung nicht erkennt, dann keiner."

Aljans Worte hallen durch den Raum und einen Moment später fliegt das Schriftstück in seinen Händen durch die Luft, stößt gegen eines der Regale und kulltert zu Boden. Ich schaue zwischen Vater, Sohn und dem Pergament hin und her.

"Es ist nicht mehr zu ändern", sagt Tenebris ruhig.

"Alles ist zu ändern", entgegnet Aljan. "Wo ist das Original?"

"Da wo es hingehört", grollt Tenebris. "In meiner Sammlung."

"Du wirst es mir aushändigen und ich werde es Sophia zurückbringen."

Tenebris schnaubt, aber ich sehe wie ihn jeglicher Kampfgeist verlässt. "Werde ich nicht. Du wirst es dir holen."

"Wie auch immer", resigniert Aljan und wendet sich ab. Ich verharre unetschlossen, ob ich ihm folgen oder bei Tenebris bleiben soll. Trotz dem, was er getan hat, erscheint es mir unverantwortlich, ihn jetzt alleine zu lassen. Ich beschließe, mich nützlich zu machen, und solange die misshandelten Werke aufzusammeln und aufzuräumen. Gerade als ich mich hinknie und nach einem blauen Wälzer greifen will, spricht Tenebris erneut. Seine Stimme klingt müde und alt.

"Sie hat gesagt, du sollst das Mädchen mitbringen, wenn du kommst."

Brennende Feuer - Dunkle SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt