3) Antworten, die keine sind

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Im Moment erscheint mir jede Regel der Vernunft unwichtig. Was mir gerade passiert, lässt sich nicht mit dem Verstand erfassen.

Ich werfe einen letzten Blick zurück zu meinem Körper, der immer noch im Bett liegt und schläft. Zumindest hoffe ich das. Der friedliche Anblick tröstet mich ein wenig. Wenn ich Schmerzen hätte, würde ich nicht so still daliegen. Oder bin ich tot? In einem leisen Anflug von Panik wende ich mich Aljan zu. Meine Sorge sollte mich viel mehr aufwühlen, als sie es tut. Fühlt es sich so an, wenn man gestorben ist?

"Bin ich tot?" Meine Worte verlassen meinen Mund nur als Flüstern.

Aber Aljan ist bereits durch die dunkle Öffnung in meinem Spiegel getreten.

Wenn ich Antworten will, muss ich ihm folgen - und ich will Antworten. Antworten geben Sicherheit.

„Warte!", rufe ich und schwebe ihm hinterher durch das schwarze Spiegelloch.

„Was passiert hier?", frage ich seinen breiten Rücken. Er dreht sich nicht um. Eine Antwort erhalte ich auch nicht. Lediglich seine Hand erhebt sich in einer Geste, die mir zwei Dinge zu verstehen gibt: Er hat meine Frage verstanden und ich soll warten, bis er mir antwortet.

Sobald ich durch die Wand hindurch getreten bin, schließt sich die Öffnung hinter mir. Ich schaue auf eine raue Wand aus dunklem Granitstein. Geduld war noch nie meine Stärke. Ich will Antworten. Jetzt!

„Ich schlafe doch bloß?" Diese Frage richtet sich an meine Umgebung. Vorsichtig taste ich nach der Wand. Sie fühlt sich kalt und hart an. „Das ist alles nur ein Traum? Eine Einbildung? Du hast mir etwas in den Drink gegeben." Das letzte ist eine reine Feststellung. Auch ohne seine Antwort zu kennen, bin ich nicht mehr so wirklich überzeugt davon, dass das nur ein Traum ist. Aber was sollte es sonst sein? "Das ist nicht real."

Aljan ist bereits ein gutes Stück vorausgegangen, aber er hat mich gehört. Seufzend bleibt er stehen. Langsam dreht er sich zu mir um. „Komm bitte! Wir müssen weiter. Ich erzähle dir alles, was du wissen musst, auf dem Weg."

Das Versprechen nach Antworten treibt mich vorwärts. Oder auch nur der Zustand meiner aktuellen Sorglosigkeit. Schlimmer oder Verrückter kann es sowieso nicht mehr werden. Und der Rückweg durch den Spiegel ist ohnehin verschlossen. Was bleibt mir also übrig? Ich hefte mich wie ein braves Kind an seine Seite und folge ihm durch den langen dunklen Gang.

Und während es mal aufwärts und mal abwärts, mal vorbei an Engpässen, unter denen wir uns hindurchzwängen müssen und mal durch große unterirdische Hallen geht, bekomme ich meine Antworten.

"Alles ist aus dem Gleichgewicht geraten." Seine betörend tiefe Stimme hallt von den Wänden wieder.

"Uns was soll das heißen?", frage ich wie eine wissbegierige Schülerin. "Was ist alles? Wo sind wir hier?"

"Ich brauche dich, um meine Welt vor dem Untergang zu bewahren. Ich weiß, es klingt verrückt und es macht noch weniger Sinn, aber es ist die Wahrheit. Nur du kannst uns helfen."

Ich nicke. "Natürlich, ausgerechnet ich, eine gewöhnliche Sterbliche." Das Wort weckt etwas in meinem Bewusstsein. "Bin ich tot?" Er hat mir noch keine Antwort auf diese existentielle Frage gegeben.

Er schüttelt den Kopf. "Mach dir keine Sorgen."

"Leichter gesagt, als getan."

"Ich weiß." Er bleibt nicht stehen. Der Weg führt leicht abwärts, windet sich alle paar Meter um einen Felsvorsprung. Man kann weder weit voraus noch weit zurück schauen. Von irgendwo fällt  Licht ein, sodass wir überhaupt etwas sehen können.

"Müsste es nicht eigentlich dunkel sein hier unten?", frage ich. "Wo auch immer hier unten ist."

Er lacht. Tief und kehlig. "Müsste es. Aber vieles ist nicht so, wie es scheint."

Ich verdrehe die Augen. "Antworten sind nicht so deine Stärke."

Sein Lachen klingt immer noch unverschämt vergnügt. "Kommt auf die Fragen an. Und auf den Zeitpunkt. Warte noch. Wir sind bald da. Dann erhälst du Antworten."

"Na gut." Aber Geduld und ich werden auch in Ausnahmesituationen keine guten Freunde mehr. "Ein Versuch noch: Was muss ich tun, um die Welt zu retten?" Hartnäckig sein, kann ich ebenfalls.

Aljan wird wieder ernst, aber wichtig genug, um stehen zu bleiben, ist ihm die Antwort auf diese Frage auch nicht. In großen Schritten läuft er weiter und ich haste hinterher.

"Das kann ich dir nicht verraten. Du wirst es selbst herausfinden müssen."

Jetzt bin ich diejenige, die lachen muss. Aber es klingt weder amüsiert noch verführerisch, sondern allerhöchstens pathetisch.

"Ich kann dir nicht sagen, wie genau du unsere Welt erlösen sollst oder warum ausgerechnet du dafür vorgesehen bist. Aber ich kann dir ein wenig mehr über mich und diesen Ort hier erzählen."

Ich bleibe still, etwas außer Atem und kein bisschen ich selbst. Irgendwie habe ich zwar wieder einen Körper und einen Kopf, der meinen Befehlen folgt wie ich es gewohnt bin, aber irgendwie kann das alles nicht wirklich passieren.

Aljan versteht meine schweigende Einladung.

"Ich bin ein Prinz aus der Unterwelt und meine einzige Aufgabe bestand darin, dich in das Reich unter der Erde hinab zu führen, damit du deine Bestimmung erfüllen kannst."

Mein Lachen hallt von den Wänden wider. Ich glaube ihm und ich glaube ihm nicht. Ob er die Wahrheit sagt, werde ich merken, wenn ich wieder aufgewacht und ich selbst bin. Für den Augenblick stehe ich wirklich in einer Grotte tief unter der Erde. Neben mir perlen Wassertropfen von der Decke. Das Platschen, wenn sie auf dem Boden aufschlagen und der feine Schauer, der mich dabei erfasst, fühlen sich verdammt real an.

Vielleicht bin ich auch genau das - verdammt.


- + -+ -

Schläft sie? Träumt sie? Ist sie tot oder ist das real?

Was meint ihr und wie gefällt Euch die Geschichte bisher?

Lob- Kritik- was auch immer, sind natürlich gerne gesehen. Sterne auch ;-)

Brennende Feuer - Dunkle SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt