15. saige

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~ she wore her hopes like a crown, an outspoken soliloquyof dreams ~

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~ she wore her hopes
like a crown,
an outspoken soliloquy
of dreams ~

Ich hatte Amilia gefragt, ob wir nach der Kirmes noch irgendwo hin wollen. Ich wollte ganz vielleicht ein bisschen Zeit mit ihr alleine verbringen und mehr über sie erfahren.

Während wir auf der Kirmes waren, hat Amilia die ganze Zeit ein bisschen angespannt gewirkt. Ich denke, die große Menschenmasse hat sie nervös gemacht und deswegen wollte ich mit ihr irgendwo hin, wo es ruhiger ist und wir ungestört reden können.

Also habe ich sie zu meinem Lieblingsplatz gebracht.

Er ist nicht weit entfernt von der Kirmes, also mussten wir mit meinem Auto nur um die zwölf Minuten fahren. Danach mussten wir nur  einen kleinen Berg hochlaufen und schon waren wir da. Von hier aus konnte man über die Stadt blicken. Man sah die unzähligen Lichter der Häuser oder Autos und der Horizont erstreckte sich Kilometer weit.

»Wow« höre ich Amilia von der Seite sagen und sofort muss ich lächeln. Die ganze Fahrt über habe ich mir Sorgen gemacht, dass ihr dieser Ort vielleicht doch nicht gefallen könnte. Es ist mein Lieblingsplatz und manchmal komme ich auch hier her um mich abzureagieren, aber ob sie ihn so schön finden würde wie ich, wusste ich nicht.

Wir setzten uns auf den Boden und blickten schweigend auf die Stadt vor uns.

Man hörte die Straßengeräusche nicht. Nur manchmal der leichte Wind und unser Atem. Es ist ein entspanntes schweigen und eigentlich dachte ich, wir würden es weiter tun, aber Amilia fing plötzlich an zu erzählen.

»Ich hatte mal ein Schwester.« sagt sie. »Saige. Sie hätte diesen Ort geliebt.«

Mein Kopf schießt in ihre Richtung, aber sie schaut weiter nach vorne. Ein trauriges Lächeln umspielt ihre Lippen und sie scheint in Gedanken versunken zu sein.

»Sie war immer ein Sonnenschein. War immer fröhlich und gut gelaunt.« ich weiß nicht was ich sagen soll, also lass ich es einfach und gucke wieder nach vorne, lausche einfach nur ihrer Erzählung. »Sie hat meine schlechtesten Tage zu besseren gemacht. Wir waren Schwestern, klar, aber auch beste Freundinnen. Ich kannte ihre kleinen Geheimnisse und in wen sie verliebt war und sie meine.«

»Was..« ich muss mich räuspern, denn plötzlich ist meine Stimme kratzig und mein Hals staubtrocken. »Was ist passiert?«

Ich bemerke im Augenwinkel, wie sie ihren Kopf zu mir wendet und blicke selbst zu ihr. In ihren Augen sehe ich Tränen, die sie versucht zu unterdrücken.

»Mein Vater hat sie umgebracht.«

Mein Herz zieht sich zusammen. Ich kann nicht mehr atmen und meine Augen sind überrascht aufgerissen. Ich öffne meinen Mund, schließe ihn wieder und öffne ihn danach wieder.

»Ist schon gut.« sagt sie, lächelt, als wäre es vollkommen normal so etwas zu sagen. »Ich habe es aktzeptiert. Ich bin wütend und traurig, aber man kann nichts ändern, also habe ich mich damit abgefunden.«

Da ich nicht ganz sicher bin was ich machen soll, rücke ich einfach ein Stück weiter zu ihr, nehme ihre Hand in meine und verschränke sie. Mein Herz rast in meiner Brust und in meinem Bauch fliegen Schmetterlinge.

»Warum erzählst du mir das?« frage ich flüsternd.

Sie zuckt mit den Schultern, schaut wieder nach vorne, dann wieder zu mir. Sie streckt ihre andere Hand aus und zieht ihren Ärmel hoch. Mein Atem stockt, als ich plötzlich eine Narbe auf ihrem Oberarm erkenne. Sie ist dick, aber klein und ein gerader strich.

Sie zeigt drauf, fährt einmal drüber und schiebt dann wieder ihren Ärmel runter. »Da hat er sich über seinen Chef aufgeregt. Er wollte ihn nicht mit zu einer Geschäftsreise nehmen, deswegen ist er zu seiner Lieblingsbar gelaufen, hat sich mit Alkohol voll gesoffen und kam mal wieder betrunken nach Hause. Da er aber immer noch frustriert war, hat er das erst beste genommen und geschmissen. Es war ein Küchenmesser und ich kam in dem Moment in die Küche, um mir ein Wasser zu holen.« sie lacht kühl auf, blickt in die Ferne und ist wieder in Gedanken versunken.

»Ich habe versucht, Sage zu beschützten. Sie war gerade mal neun und ich zwölf. Wenn er nach Hause kam, habe ich sie in meinem Schrank oder mein Zimmer eingesperrt, meinte sie solle ganz leise sein und keinen mucks von sich geben. Dann bin ich runter gegangen und habe mich um ihn gekümmert. Egal wie betrunken er war, ich habe ihn umgezogen, fertig gemacht und ins Bett gelegt. Egal wie oft er mir eine Ohrfeige gegeben hat, oder mit irgendwelchen Sachen nach mir geworfen hat. Ich habe ihn am Ende des Tages ins Bett gebracht.«

Mir wird übel. Amilia wurde Misshandelt. Und plötzlich frage ich mich, ob sie wirklich immer so gut drauf ist. Ob sie nicht manchmal von Albträumen oder Erinnerungen geplackt wird, aber trotzdem ein Lächeln aufsetzt und sagt es wäre alles okay.

»Und dann kam dieser eine Tag. Ich musste nach der Schule länger bleiben, weil irgendein Lehrer etwas von mir wollte. Ich weiß nicht mal mehr was. Ich weiß nur noch, dass ich glücklich war, weil ich eine besser Note bekommen habe. Für irgendeinen scheiss. Und dann kam ich zuhause an. Ich habe die Tür aufgemacht und direkt bemerkt, dass etwas nicht stimmte. Es war zu ruhig. Sage hätte schon längst da sein müssen, also habe ich sie gesucht. Und dann habe ich sie gefunden. Auf dem Boden. Blut überströmt und mein Vater direkt daneben.« ihre Wangen sind nass und ich muss mich selber zurückhalten nicht drauf los zu weinen.

Ich drücke ihre Hand, um ihr zu zeigen, dass ich da bin, denn ich weiß nicht, wie ich es sonst machen soll. Sie erwidert den Druck, schaut aber weiter nach vorne.

»Ab da hat es mir gereicht. Es war okay, dass er mich schlug und verletze, aber nicht sie. Nicht Sage. Also habe ich den Krankenwagen und die Polizei gerufen. Meine Schwester ist noch am selben Tag gestorben und mein Vater musste ins Gefängnis. Weißt du wieviel er bekommen hat?« Sie lässt mich nicht antworten, spricht weiter und mehr Tränen laufen über ihre Wangen. Ihr Blick sieht gequält aus. »Er hat sechs Jahre dafür bekommen, dass er mir meine Schwester genommen hat.«

Sie fängt an zu schluchzen und ihr Körper zittert. Ich ziehe sie zu mir, umschlinge ihren Körper mit meinen Armen und halte sie fest. Halte sie so lange fest, bis ihr schluchzen aufhört. Ihre Atmung ruhiger wird.

»Ich vermisse sie.« wispert sie und ich muss schlucken. »Ich vermisse sie so schrecklich.«

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