Kapitel 15

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"Ruby, wir wissen wer das alles hier war!"

Während ich versucht hatte herauszufinden, wo Liam jetzt war, hatte Faye einen Mann gesehen. Einen den wir alle kannten. Er war einer von Clancys direkten Unterstellten und hatte wohl früher in Liams, Zus und Fayes Lager Caledonia gearbeitet. Auch er war tot.

"Aber warum sollte Clancy ihn wollen?", wunderte ich mich. Verwirrung und unterschwellige Angst bescherten mir eine Gänsehaut. "Er hat doch nichts von ihm, es gibt viel einfachere Wege sich Anhänger zu erzwingen als in einem Wald auf ihn zu warten und dann auch noch ein paar Soldaten zu verlieren." Meine Gendanken fielen inzwischen ohne einen Filter nur noch aus mir raus. Ich bemerkte es kaum. "Und wenn er damit erreichen wollte, dass er mich zu ihm führt, hat er auch keine Chance, weil er nicht mal mehr weiß, dass es mich gibt." Als ich das aussprach, schnürte sich mein Hals wieder zu, daher sprach ich schnell weiter. "Und es gäbe auch da einfachere Wege. Ich mein, wenn er wusste, dass er hier ist, dann hätte er auch wissen müssen, dass ich nicht hier bin. Und wenn er dachte, dass er mich so zu ihm locken kann, woher wollte er wissen, dass ich ihn suche. Schließlich hatte ich eigentlich vor, ihn von mir fern zu halten. Und ich wüsste eigentlich ja nichts von seiner Entführung." Als mein Redeschwall endlich stoppte, zwang ich mich zu einem dringend nötigen tiefen Atemzug.

"Okay, und darf ich jetzt auch mal reden, oder bist du noch nicht fertig?" Chubs grinste leicht belustigt.

Na ja, manchmal sollte ich vielleicht wirklich besser überprüfen, was aus meinem Mund kam.

Ich bedeutete ihm wortlos fortzufahren.

"Zuerst, eine Frage", meinte Chubs. Ich sah ihn abwartend an. "Wie weit reicht deine Kraft? Also, auf welche Entfernung kannst du Menschen nicht mehr beeinflussen?"

  Einen Moment lang dachte ich nach. "Ich weiß nicht genau, aber ich glaube das hängt hauptsächlich vom Training ab. Früher brauchte ich meistens eine Berührung, inzwischen kann ich es auch ziemlich gut auf Entfernung. Und bei Lady Jane müsste es eigentlich unabhängig von der Entfernung funktionieren." Ich zuckte mit den Schultern.

"Okay," nickte er, "darauf komme ich gleich nochmal zurück. Jetzt, wo er Liam hat, denke ich, wird er ihn erstens für seine Zwecke nutzen und zweitens ihn als Druckmittel gegen uns und als Quelle benutzen. Das Liam ihm aber kaum Informationen über uns geben kann, bringt ihn möglicherweise in größere Gefahr als ich bisher dachte", fügte er langsam hinzu.

"Was meinst du damit?" Meine Stimme war ungewollt zwei Oktaven höher gerutscht, aber es war mir egal.

"Na, wenn Clancy aus Liam keine Informationen rauskriegt, wird er entweder versuchen, ihn mit Gewalt dazu zu bringen, ihm etwas zu verraten. Oder er weiß es schon, weil er einfach seine Erinnerungen durchsucht und wird ihn nur zum Spaß schlecht behandeln, weil er Liam hasst, und ihn dann zum Beispiel als Übungsobjekt für die anderen benutzen oder wer weiß, was noch alles mit ihm machen wird." Auch Chubs Stimme war die Sorge anzuhören, aber er blieb ruhig und fragte mich anstatt in Panik zu geraten: "Weißt du jetzt, was hier passiert ist?"

Seine Ausführungen von Sachen, die Liam momentan widerfahren könnten, hatten einen bitteren Geschmack in meinem Mund hinterlassen, aber ich nickte auf Chubs Frage. Ich musste mich auf die Sachen konzentrieren, die mich gerade weiterbringen konnten. Das war erst einmal das Wichtigste. Möglichst knapp erklärte ich Faye und Chubs, was die Erinnerungen des Soldaten mir gezeigt hatten. "Und dann waren da nur noch die Worte 'Hotel' und 'Bunker' und ein großes weißes Gebäude", endete ich. "Aber ich habe keine Ahnung was das bedeuten könnte."

Zu meiner Überraschung antwortete Faye auf meine Frage. "Ist das nicht das Greenbrier Hotel?"

"Ja, es war früher mal ein Bunker und wurde dann zu einem Hotel umgebaut. Eigentlich ein ziemlich gutes Versteck für Clancy." Chubs rieb sich besorgt über die Stirn. "Und umso schwerer für uns", murmelte er dann.

"Ja, aber wie sollen wir dahin kommen? Das ist in einem anderen Staat!"

"Ruby, soweit ist das gar nicht", beruhigte mich Chubs. "Erstens: Das Hotel liegt an der Grenze zwischen Virginia und West Virginia. Und zweitens: Wir sind in der Nähe von Pineville, das bedeutet, dass wir ungefähr fünfzehn Stunden bis Logan brauchen, wo Zu ist. Mit Pausen, wären wir wohl morgen Abend da. Und wie du daraus vielleicht schon entnommen hast, wir sind nicht mehr in Virginia, sondern schon in West Virginia. Also haben wir schon mehr als die Hälfte des Wegs geschafft."

"Und niemand hat gesagt, dass der Weg bisher ein Sonntagsspaziergang war", murmelte Faye.

Manchmal fragte ich mich echt, wie um alles in der Welt Chubs sich das bitte alles errechnen und merken konnte.

"Warum wolltest du eben wissen, wie weit ich Menschen manipulieren kann?", kam ich auf das Thema zurück.

"Naja, soweit ich das gesehen habe ist Clancy – mal abgesehen davon, dass er einfach ein riesiges Arschloch ist! - zwar schlau, aber nicht sehr schlau. Aber ich vermute, dass er Liam zu sich geholt hat, weil er erstens: Der stärkste bekannte Blaue ist. Und zweitens: Bringt ihm das mehrere Vorteile. Ich denke nicht, dass er wusste, dass du dich aus Liams Gedächtnis gelöscht hast oder wo er war, denn wenn er wirklich in Greenbrier ist, wäre das echt extrem weit, oder?" Er schaute mich fragend an.

Ich konnte mir diese Entfernung noch nicht einmal vorstellen. Ich wüsste überhaupt nicht, wie ich seine Gedanken oder die von irgendwem lesen sollte, ohne, dass ich wusste, wo er genau ist. "Ich glaube nicht, dass ich das könnte. Aber woher wusste er denn dann, wo Liam war?"

Faye zuckte mit den Schultern und wir sahen uns um.

Nach kurzem Schweigen zeigte Faye hinter mich. "Dahinten ist eine Straße. Vielleicht ist ja einer seiner Soldaten hier lang gefahren." Das wäre vermutlich noch die wahrscheinlichste Erklärung dafür.

"Ja, könnte sein. Vielleicht ist er an der Straße entlanggelaufen, wir sind ja nicht mehr seiner Spur gefolgt... Aber welche Vorteile hat er davon Liam zu fangen?", fragte ich

"Naja, er weiß, dass du Liam helfen würdest, wenn du könntest, also entweder wird er dir irgendwie eine Nachricht zukommen lassen, oder er nimmt an, dass du es selber merken wirst. Und dann natürlich noch die Tatsache, dass er jetzt den mächtigsten Blauen auf seiner Seite hat." Chubs lächelte bitter und schaute hinter mich als wäre er in Gedanken versunken. "Außerdem kann er ihn eben als Druckmittel benutzen, und so weiter."

Okay, dann sollten wir weiter. Je schneller wir Zu abholen und zu Liam kommen, desto besser. Ich schulterte Liams Rucksack und wir gingen los.

The Darkest Minds - Battle of MindsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt