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Mir fiel die Kinnlade herunter.
Bis sie auf dem Boden ankam.

Zumindest kam es mir genau so vor.

«Ne, oder?»
Ich versuchte, ihre Worte auf die Situation zu übertragen, zu realisieren, was überhaupt geschehen war und zu schlussfolgern, welche Folgen das Ganze hatte.
Oder gehabt haben könnte.

Deswegen ließ ich die letzten paar Minuten revue passieren.
«Ich bin hier mit dir entlang gegangen», ich wies mit dem Daumen über meine Schulter hinweg auf den Bürgersteig hinter uns, was Amella mit einem Nicken bestätigte.
«Und habe dir die ganze Zeit von dem super heißen Typen mit dem neonorangefarbenem Hoodie erzählt.», fuhr ich fort. Auch jetzt nickte sie wieder.

«Und genau dieser eine Typ, der der Einzige mit neonorangefarbenem Hoodie an unserer Schule ist, läuft genau vor uns.»

«Jup.»

Wieso hatte sie mich ins offene Messer laufen lassen?

«Warum hast du mir nichts gesagt?», warf ich ihr fassungslos vor.
Sie hingegen ging sofort in die Defensive.
«Wie denn? Vielleicht <Delilah, sei mal still, nicht, dass der Typ vor uns bemerkt, dass wir über ihn reden.>»

«Nicht so, sondern irgendwie anders... Keine Ahnung.», ich rang nach passenden Worten, «vielleicht sowas wie <Delilah, schau mal gerade aus.>?»
«Na sicher. Dann hätte er doch auch gewusst, dass wir über ihn reden.»
Sie atmete tief durch.

«Hast du denn nicht meine Gesten gesehen?»
Skeptisch zog ich eine Braue, hoch, was ich, nebenbei bemerkt, ziemlich gut konnte. Dachte ich zumindest.
«Ich habe mit beiden Händen direkt nach vorne auf den Neonhoodie auf zwei Beinen gezeigt.»
Ich blieb still. Und weiterhin skeptisch.

«Dann habe ich die Augen weit aufgerissen und, so offensichtlich es nur ging, von uns zu ihm geschaut.»
Wieder reagierte ich nicht.

«Und weil ich dich eben nicht ins offene Messer rennen lassen wollte, habe ich mit meinem Finger hin und her gewedelt und an die Kehle gehalten. Weil ich dir zeigen wollte, dass du ins Verderben rennst.»

Unbeeindruckt sah ich sie weiterhin an.
«Und du fragst mich, ob ich Schmerzen habe.»
Wieder schüttelte sie einfach nur den Kopf.
«Also an den Gesten müssen wir definitiv noch arbeiten.», tadelte ich sie. «Das sah wirklich schmerzhaft aus.», ergänzte ich meinen Gedanken.

«Nicht halb so schmerzhaft, wie wenn du versuchst eine Braue hochzuziehen.»
Mit entgleistem Gesicht starrte ich sie an.
«Ja okay, tut mir leid, dass war ein bisschen sehr gemein.», gestand sie ein,«aber mein Bruder ist auch ständig so gemein zu mir, da muss ich das Kontern doch mal üben.»

«Dein kleiner Bruder... wenn ich den in die Finger kriege...»
«Naja also...», sie kratzte sich am Hinterkopf und mir wurde klar, dass ich irgendetwas Wichtiges nicht mitbekommen hatte.

«Mittlerweile ist er gar nicht mehr so klein... ehrlich gesagt, ist er größer als du.»

«Toll. Super Tag. Weißt du, vielleicht war das gar keine so schlechte Idee. Vielleicht gabel ich den Südländer einfach an der Haltestelle auf und erzähl ihm von unseren bösen Machenschaften. Dann müssen wir zumindest nicht mehr probieren, es geheim zu halten.»

«Das Ding ist, vielleicht müssen wir das auch gar nicht mehr, wenn er dir eben auch nur ansatzweise zugehört hat.», entgentete mir Amella prompt.

Ich schwieg bei dem Gedanken an das Geschehnis wenige Minuten zuvor, zog stattdessen die Brauen hoch, verzog das Gesicht, als hätte ich in ein Zitrone gebissen.

Amella konnte sich nun entgültig nicht mehr halten und lachte los.
«Du hast vorhin auch schon gelacht, als er vor uns war. Das ist aber nicht witzig.», versuchte ich sie eines Besseren zu belehren.

Sie gluckste weiterhin munter vor sich her.
«Wenn du weiter darüber lachst, verbünde ich mich mit deinem Bruder gegen dich!», drohte ich ihr.

«Du und mein Bruder? Eher lädt dich der Südländer auf ein Date ein.»

Was hatte sie eigentlich mit dieser Formulierung?! Irgendwann war es wirklich nicht mehr lustig.

«Na dann bring ich dir keine Süßigkeiten mehr mit. Sondern nur deinem liebreizenden Bruder.»
Weil sie eine super gesund lebende Familie waren, gab es kaum bis gar keine Süßigkeiten in ihrem Haus, sodass ich ein wirklich starkes Argument hatte.
Aber auch hierbei schien ich heute falsch zu liegen.

«Okay. Dann bring ihm halt Süßigkeiten mit.»
Erwiderte sie trocken und zuckte die Schultern.

Ich ging, ohne sie wie gewohnt zum Abschluss zu umarmen, und würdigte sie keines Blickes mehr.
«Mal sehen, wie lange du es ohne Five Gum Wassermelone aushälst, während du mir und Antonio beim Schmatzen zuhörst.», brüllte ich über die Schulter hinweg, als ich mit eiligen Schritten auf die Haltestelle zusteuerte.

Zu meinem Glück, war Phoebes Bus noch nicht gekommen, was durchaus der Fall hätte gewesen sein können, so lange sich Amellas und mein Gespräch gezogen hatte.

Erleichtert fiel ich ihr in die Arme.
Leicht überrascht sah Phoebe mich an.
Heute ließ ich die Ratestunde ganz ausfallen. «Phoebe, ich habe Amella vom Südländer vorgeschwärmt, während er direkt vor uns gelaufen ist.», gab ich ihr die Worte, die meinen Zustand erklärten, in Blitzgeschwindigkeit wieder.

Der übrraschte Blick galt nicht mir, sondern der Ferne hinter mir.
«Du meinst, dieses Neon-Verkehrshütchen, dass uns grade auslotet?»

Langsam, um nicht noch verdächtiger als ohne hin schon zu wirken, löste ich mich aus der Umarmung und drehte mich langsam um, sodass sich mir die gleiche Sicht wie Phoebe bot.

Perfektes DramaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt