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Den ganzen gestrigen Abend lang tadelte mich Amella.
Direkt sagte sie zwar nichts, aber ihre Blicke, die sie mir über die Schulter hinweg zu warf, waren Strafe genug.
Das ging solange, bis ich wieder mit einem meiner unterirdisch schlechten Flachwitzen kam und diese unangenehme Stille von ersticktem Lachen abgelöst wurde.
Rush Hour ist ein Stimmungskiller. Keiner kann da ernst, geschweige denn sauer bleiben.
Als sie dann von ihrer Mutter gegen acht abgeholt wurde, hoben wir ihre Laune mit den letzten überlebenden pan cakes.

Und als ich dann alleine auf meinem großen Bett lag, hätte der ganze Trubel sich gelegt haben sollen.
Im Gegensatz dazu malte sich mein Unterbewusstsein alternative Wendungen aus, die in einem Paralleluniversum vielleicht eingetreten waren.

Wie es zum Beispiel gewesen wäre, wenn wir den Südländer angefeuert hätten und unsere Kommentare zum Spiel lautstark kund getan hätten.
Ob es dann vielleicht sogar lustig gewesen wäre anstatt des unangenehmen Ausspionierens, wobei wir schön aufgeflogen waren?

Wenn ich Mella alle pan cakes weg gegessen hätte, sodass kein einziger mehr hätte rüber fliegen können.

Oder was gewesen wäre, wenn der Mensch mit hochthronender Nase mit dem Fahrrad gefahren wäre und nicht der, mit königsgleichem Auftreten.
Sicherlich hätte Joshua uns ausgemacht.
Irgendwie fand mich sein Blick doch immer.

Quatsch mit Soße, in diesem Paralleluniversum wollte ich nicht leben.
Während ich Hefte, Bücher und Mäppchen, eins extra für den Kunstunterricht, in meine Tasche pfefferte, schob sich eine mahnende Haftnotiz in mein Blickfeld.

Sportsachen nicht vergessen.

Richtig, da war ja was...

Morgen erwartete mich ja unser äußerst beliebter Sportunterricht, um mich nicht nur für einen Tag, sondern auch eine ganze Woche lang außer Gefecht zu setzen. So sonderlich viel waren meine Muskeln eben nicht gewohnt.
Der Südländer hingegen war so einiges gewohnt.
Das teilte er mir auch höchstpersönlich am nächsten Morgen auf dem Schulkorridor mit.

Die nie einrostende Ausrede, als Mädchen auf die Toilette gehen zu dürfen, hatte mich von den Klauen meiner Mathelehrerin befreit und in die Fänge des Südländers getrieben.
Mein Herz machte einen Aussetzer, als ich den Südländer an den Spinden, lässig, wie er eben war, lehnen sah.
Er stand weiter weg von seinem Kurs, der auf ihren mit Schlüssel bewaffneten Lehrer wartete.

Es kündigte sich langsam der Herbst an, die Mützen-Saison hatte wieder begonnen. Der Südländer war das nicht entgangen, auf seinen fluffigen schwarzen Locken trug er eine kaminrote Mütze, einen dazu passenden Hoodie auf einer schwarzen Jeans.

Holla, das war mal ein Anblick.

Er hätte locker einem Magazin entsprungen sein können, das für die besten Umsatzzahlen aufgrund eines Models renommiert wurde.

So wenig ihm der Saisonwechsel entgangen war, so wenig war ihm mein Starren entfallen.
Ich hätte doch gehen sollen so lange ich noch konnte. Dabei hatte er mich ganz einfach in seinen Bann gezogen...
Diese türkisfarbenen Augen, die um die Pupille immer heller wurden...
Ein unwiderstehliches schiefes Grinsen zuckte  in seinem Mundwinkel, als er den Blick senkte und sich von dem Spint abstieß. Und auf mich zukam.
Auf. Mich. Zukam.

Hallo Hirn? Erde an Delilah?
Aufwachen, das hier ist kein Traum?
Dabei wäre es genau der Handlungsstrang...
Wäre. Ist. Ist?

Ein Räuspern.
Ich schaue auf. In ein Paar atemberaubender Augen.
Eben stand er doch noch da drüben?

"Normalerweise bin ich es gewöhnt, dass Mädchen mir nach rennen, und nicht vor mir weg."

"Hä?"

Verwirrt blinzelte ich ihn an. Ich musste meinen Kopf leicht in den Nacken legen, so aus nächster Nähe war er dann doch ziemlich groß.
Es lag nur ein Meter zwischen uns.
In der Vergangenheit hatte ich ihn immer nur aus der Ferne bewundert, das hier war dann doch ein ganz anderes Niveau.  Von den Grübchen, die sich in seinen Mundwinkeln bildeten, hatte ich zuvor noch nicht gewusst, von... Moment, Grübchen? Lachte er mich gerade aus? Hatte ich etwas verpasst? Ich erwachte aus meiner Trance und Zwang mich, den Worten, die er aussprach, einen Sinn zu geben.
Konzentrier dich, Delilah. Eieiei, schlimm hier.

"Vor ein paar Tagen war ich im Park, als du mir entgegengelaufen kamst, völlig durch den Wind. Und dann sah es so aus, als würdest du plötzlich vor mir weglaufen."
Er lachte kurz auf, während ich errötete. Dass ich später tatsächlich vor ihm weggelaufen war, ließ ich mal aus.

"Eine willkommene Abwechslung. "
Er lächelte wieder und sah mir ohne Umschweife in die Augen.

"Kann ja nicht jeder ein Groupie sein"

Hatte ich jetzt nicht wirklich gesagt.

Hatte ich jetzt nicht wirklich gesagt!

Zu meiner Verteidigung, in meinem Kopf hatte es besser geklungen.
Oh, ich wollte hier weg, das war ja mal wieder typisch Delilah gewesen.

Im Hintergrund hörte ich meinen Namen rufen. Wieder und wieder, bis er direkt hinter mir gerufen wurde.
Mir wurde ein Arm um die Schulter gelegt und bis ich bemerkt hatte, dass es Amella war, hatte sie uns auch schon bedauernd entschuldigt und aus dem Gang geführt.

"So so, musst du also auch auf einmal auf die Toilette?", hakte ich noch immer leicht verdutzt nach.
"Du, meine Liebe, musst mir jetzt mal erzählen, was ich soeben alles verpasst habe." Sie grinste aufgeregt, während ich mir nicht so sicher war, ob dieses kleine peinliche Treffen überhaupt nennenswert war.

Obwohl, es war Eymen. Natürlich war es nennenswert. Auf dem Weg begann ich auch schon zu berichten, während die nächste wirklich nennenswerte Begegnung ausstand.
Joshua. Beim Lernen.
Was um alles in der Welt hatte ich bitte verpasst?

Und da sah er auch schon auf.
So typisch.

Perfektes DramaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt