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Nein, so durfte ich mich nicht abfrühstücken lassen. Sie wusste genau, dass ich schon sehr, sehr oft ihre Ränder verkrotzelt hatte.

«Amella!», irgendwie klang meine Stimme nicht so vorwurfsvoll, wie geplant. Stattdessen hörte es sich an, als könnte ich mir ein Lachen kaum verkneifen.

Ach Mist. Heute war absolut nicht mein Tag.

Aber auch diese Einsicht erlöste mich nicht von dem Wortgefecht, was mir noch bevorstand mit dem Mädchen, das ich schon seit meiner Geburt kannte.
«Selbst deine Mutter hat sich doch schon immer beschwert, das ich alles vollkritzel.», erinnerte ich sie.
«Nicht zuletzt über das Design, das du meiner neuen Hose verpasst hast.»

«Ich war vier!»

«Und meine Hose neu!»

«Anschließend sogar brandneu und limitiert!», korrigierte ich sie mit erhobenem Zeigefinger.

Jetzt hatte ich sie. Sie krümmte sich vor Lachen, und aus ihr kam nur gelegentlich ein leises Auflachen, dass sich wie Scheibenwischer anhöhrte.
Irgendwie machte ich mir bei diesem Anblick Sorgen um sie.

Naja, das war immerhin besser als die überhebliche Masche, die sie vorhin mit dem Armeverschränken versucht hatte.
Ihr lautes Einatmen, das das fast schon tonlose Lachen unterbrach, ließ mich aufschrecken.
Und ehe ich mich versah, lachte ich auch schon mit, wobei sich meine Lache um einiges dreckiger anhörte.

Oh ich konnte nur hoffen, dass der Südländer jetzt nicht rein zufällig die Tür unseres Klassenzimmers passierte, welche zum Durchlüften, den abartigen Temperturen geschuldet, die ganze Zeit offen stand.

Nach geraumer Zeit, die Pause schien heute außerordentlich lang, fingen wir uns wieder, als es auch schon zum Pausenende klingelte.

Amella sah nach vorne, um klar zumachen, dass wir jetzt dem Unterricht weiterhin folgen sollten, räusperte sich noch einmal mit einem Grinsen, das sie hinter ihrer Faust versteckt hielt.
Sie wusste genau, weshalb, denn ich konnte mir selbst jetzt das Lachen kaum verkneifen.

Sie fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, um die Kontrolle über ihr Verhalten wiederzuerlangen, was bei ihr alle mal besser funktionierte, als bei mir.

Auch das schien ihr nicht zu entgehen.
Urplötzlich beugte sie sich zu mir und raunte mir «Du kannst dich wohl nicht nur bei ihm nicht kontrollieren.» zu und kicherte auch schon los.

Wow. Ich war schockiert.
Das hatte ich so noch nicht erlebt.
Meine Kinnlade klappte runter und ich wollte etwas sagen. Doch ich war ehrlich sprachlos.

Dann, nachdem wir auf unserer Abiturfeier ordentlich abgerockt hatten, fiel mir doch etwas gutes ein.
«Warst du es nicht, die letztens in der große Pause von Nase geschwärmt hat, wie hach so schlau er doch sei?»
Zumindest hatte ich gedacht es wäre ein guter Konter.

Doch gegen Amella war ich wehrlos.

Sie folgte dem Motto Alles, was Sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden.

Dementsprechend sah ihre Antwort aus.
«Aha, Nase ist also der Glückliche!»
«Was? Nein! Joshua ist der größte Trampel, den es gibt! Und blöd ist er auch noch! Er kann ja nicht einmal ordentlich Deutsch sprechen!»

Das war eine Winzigkeit zu laut gewesen, was mir ein Ticken zu spät aufgefallen war.
Alle starrten mich an. Inklusive Frau Mathe.

Amella biss sich nur auf die Lippe und wandt ihr Gesicht ab, um nicht vollends die Kontrolle zu verlieren, die sie doch eben erst so mühevoll ergattert hatte.

Die restlichen Kameraden, welche allesamt weiblich waren, sahen mich entweder peinlichberührt, fremdschämend, empört oder neugierig an. Die meisten aber machten einfach große Augen und konnten wohl nicht ganz fassen, was sie da eben gehört hatten.
Mich selbst eingeschlossen.

Nach dieser Mathestunde stürmte ich nach draußen.

Ich war sauer.
Und da sollte mir jeder, wenn er sich selbst schützen wollte, lieber aus dem Weg gehen.
Amella versuchte noch Schritt zu halten und ein Gespräch mit mir zu führen. Aber das konnte sie ordentlich vergessen.

Während der restlichen Mathestunden hatte sich mindestens die Hälfte der Klasse nach mir und Joshua umgehört, per Umdrehen und Nachfragen, oder, ganz altmodisch, per Briefchen.

Ich war unserer Mathelehrerin wirklich dankbar, dass sie das tollerierte und nicht auch noch ihren Senf dazu gab.
Vielleicht hatte sie ja Mitleid gehabt.

Amella hatte es irgendwann, nachdem ich ihr gesagt hatte, dass ich jetzt kurz allein sein müsse, aufgegeben und war umgedreht.

Irgendwie tat sie mir leid, weil es nicht ihre Absicht gewesen war, aber ich musste jetzt erst mal meinen Frust loswerden, der mich zu ersticken drohte.
Und das würde ich jetzt am besten, wenn ich meine wie Feuer lodernde Wut zu Energie umwandelte, die ich im Sprint loswerden konnte.

Außerhalb des Schulgeländes, in dem nahegelgenen Park, ließ ich meinen Gefühlen wortwörtlich freien Lauf.
Ich rannte und nahm nur zweitrangig die sich vermischenden Umrisse wahr, hatte meinen Blick starr geradeaus gerichtet.

Da tauchte eine mir sehrwohl bekannte Silouhette neben mir auf.
Der Südländer.
Kurz geriet ich ins Schwanken, als mein Fuß auf der Schwelle von Bürgersteig und Straße aufkam, aber ich hielt nicht an.

So sehr ich den Südländer auch mochte, ihn brauchte ich jetzt auch nicht. Ich brauchte jetzt Ordnung in meinem Kopf und nicht noch mehr Chaos.

Nachdem ich mich mittels des Sprintens abreagiert hatte, kehrt ich gemächlich zurück zur Schule.
Die Hälfte der halbstündigen Pause war schon vergangen, als ich bei Amella ankam.

Sie distanzierte sich sofort von den restlichen Mädels, die sich wie bei einem Trupp zusammengefunden hatten.
Wir gingen auf die andere Straßenseite, wo sie auch direkt über mich herfiel.

«Es tut mir Leid Delilah. Du weißt, dass ich das nicht wollte.»

«Schon gut, es war nur der Schock.»
Wir starrten vor uns auf den Boden, als mir das Schweigen auf die Nerven ging, weshalb ich versuchte, die Stimmung zu lockern.

«Wie heißt es nochmal? Die Wahrheit kommt immer ans Licht. Oder irgendwie so ähnlich.»
Wir schwiegen weiterhin.

«Und das Nase der größte Trampel auf Erden ist, sieht jeder, der zwei Augen im Kopf hat.»
Ein Grinsen konnte ich ihr doch entlocken, weshalb ich die Situation mithilfe einer Frage analysierte.
«Wieder alles gut?», fragte ich vorsichtig nach, was absurd war, da ich es ja selbst gewesen war, die daraus so ein Drama gemacht hatte.

«Klar.»
Wir umarmten und sie klärte mich über die verschiedenen Reaktionen der Mädels auf den neusten Tratsch auf, als es soweit war und wir zusammen rein gingen.

Wie weit mein Fauxpas durchgesickert war, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht.

Es war nur die Ruhe vor dem Sturm.

Perfektes DramaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt