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Das Schweigen, als wir hier in unserer kleinen armesligen Gruppe saßen, war unerträglich, dass ich schließlich die Initiative ergriff und es brach.

«Habt ihr einen Vorschlag? Irgend ein Märchen, dass wir zu fünft spielen könnten?»
Wieder Schweigen.
Meine Güte, dass war ja wie auf einer Beerdigung.
Beerdigung... Märchen...

«Was haltet ihr von Schneewittchen?», machte ich selbst den ersten Vorschlag.
Tatsächlich reagierte nur Josh verbal auf meine Aussage.
«Ne, wir sind nicht genug, die Zwerge spielen können.»

Das konnte ich so nun wirklich nicht stehen lassen.
«Wieso, so klein wir ihr seit,», ich deutete auf die Jungs, «wärt ihr doch mehr als autentisch. Da würden die paar fehlenden Zwerge nicht auffallen.»
Alle mussten lachen. Mit Aussnahme der Jungs.

Dem Einen war sein Grinsen vergangen, er sah es wohl als Infragestellung seiner Männlichkeit. Dabei hatte ich das Dauergrinsen, was Lucas Markenzeichen war, als Geste der Gelassenheit gedeutet.

Naja, wieder diese Sache mit dem Interpretieren... Zum Glück hatte ich die Zeit der Gedichtsanalysen und den dazugehörigen Interpretationen auf wundersame Weise überlebt und hinter mich gebracht.

Bitte nie mehr.

Jedenfalls war mir der wohl doch nicht so entspannte Luca viel zu nahe getreten. Bedrohlich nahe.
Noch bevor er mir, dem scheinbar wehrlosen Mädchen, von dessen Hobbie, dem Boxen, keiner wusste, etwas tun konnte, packte ihn Joshua am Arm.

«Lässt du dir im Ernst von der Klugscheißerin was sagen? Komm schon, lass gut sein, Luca.», versuchte er seinen unerwartet aufgebrachten Freund zu beschwichtigen.

Bevor er aber zurückwich, kam er mir noch einen Schritt näher.
«Pass lieber auf, was du sagst, Kleine.»

Dann, als hätte jemand meine Sauerstoffzufuhr unterbrochen und sie plötzlich wieder aufegedreht, als vor mir kein gefährlich brodelnder Luca aufplusterte, atmete ich die unbewusst angehaltene Luft aus.

In dem Moment, in dem er so vor mir stand, war er doch gar nicht mehr so klein gewesen.
Ja, von Luca würde ich mich in Zukunft lieber fern halten.

Für den Rest der Stunde nahm ich mich lieber zurück. Diese kleinlaute Art kannte ich von mir selbst gar nicht.

Spätestens, als es an die Rollenverteilung der Cinderella ging, war ich wieder vollkommen da.
Beide Mädels wollten nicht im Rampenlicht stehen, was kaum zu übersehen war. Und so selbstlos, wie ich nun einmal war, lud ich diese Bürde auf mich.

Das hieß keines Falls, dass es mir Spaß machte. Aber die anderen waren es mir Wert, denn es war mir sehr viel weniger unangenehm als den anderen beiden.

Besagte Mädchen übernahnen die Rollen der bösen Stiefschwestern, wobei das bei den Standbildern die lustigsten Rollen waren, da man nicht - etwa wie ich als Cinderella - verliebt drein schauen musste, sondern der Schadenfreude freie Bahn lassen konnte.

Jetzt galt es nur noch Nase und Huhn eine Rolle zuzuteilen.
Da blieben nur noch die böse Stiefmutter und Prince Charming zur Auswahl.
Also das fand ich ja jetzt wirklich interessant.
Es gab keinen einzigen Konflikt, da keiner die gleiche Rolle begehrte.

Nases Objekt der Begierde war die Stiefmutter.
Ein Lachen konnte ich mir nicht verkneifen, bei dem Gedanken an Joshua als Stiefmutter.

Dass Huhn, aka Luca, dann den Prinzen spielte, geriet bei dem Unterhaltungswert, den Joshua als Stiefmutter für mich birgte, völlig in den Hintergrund.

Bis er mich schließlich mit einem Grinsen bedachte. Aber einem, dass sich auf irgendeine Art von seinem üppigen Grinsen unterschied.
Nur war mir noch nicht klar, inwiefern.

Die Zurückhaltung, die mich nach dem Fast-Massaka von Luca erfasst hatte, war verflogen.

Stattdessen fiel ich in alte Muster zurück als diejenige, die die Gruppenarbeit voran trieb.
«Okay. Vier Standbilder. Was haltet ihr davon, wenn im ersten die beiden Schwestern», ich warf den weiblichen Gruppenmitgliedern einen Blick zu, «sich über sie aufregen und die böse böse Stiefmutter», ich musste mir wirklich auf die Zunge beißen, um nicht lauthals loszublechern, «zeigt ihr, was sie alles tun soll.»

Keiner erhob Einspruch.
Da, nach Dornröschens ewigen Schlaf, fiel Charming dann siedend heiß ein, dass er als Prince in dieser Szene ja nichts, nada, niete, zu suchen hatte.

«Und was ist mit mir?», fragte er wie das übrig gebliebene Pizzastück der Familienpizza, dass keiner mehr wollte.
Meinen Mund hatte ich schon offen, um einen weiteren Kommentar auf ihn abzufeuern, als mir jemand zuvor kam.
Da stand ich mit offenem Mund da.

«Stell dich in die Ecke. Da fällst du mit deiner Größe doch sowieso nicht auf.»
Ich konnte nicht glauben, dass er es gesagt hatte und drehte mich sicherhaltshalber um, um mich zu vergewissern, dass ich richtig lag.

Tatsächlich. Jetzt hatte Joshua also schon seinen eigenen Kumpel mit meinem Witz in die Pfanne gehauen.
Obwohl er ganz genau wusste, wie er darauf reagierte.

Er fand also Gefallen daran, seinen wahrscheinlich einzigsten guten Freund vorzuführen.
«Wenn man dich als Freund hat, braucht man wirklich keine Feinde.», stellte ich mit belustigtem Unterton fest.

Er sah mich mit einem Funkeln in den Augen an, was ich unter "spitzbübisches Grinsen" verbuchte.

«Wenn du wüsstest.», waren seine letzten Worte darauf gewesen, die zwar syntaktisch und grammatikalisch richtig waren, aber nichts desto trotz genauso kryptisch, wie der Rest, den er für Üblich von sich gab.

«Kommt ihr dann auch mal?», kam es tatsächlich beleidigt aus der Ecke des Raums von Luca. Er hatte sich tatsächlich in die Ecke verkrochen, wie Joshua befohlen hatte.

Deutlich zu erkennen war, wer in dieser Beziehung die Hosen anhatte.
Und das Joshua derjenige ganz offensichtlich zu sein schien, überraschte mich zutiefst.

Er bewies ja doch soetwas wie Rückgrat.

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