19. Freiheit

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Ich wusste nicht, was in mich gefahren war, denn ich erwiderte den Kuss.

Einfach nicht nachdenken, hatte er gesagt.

Meine Hand, welche Silver gerade noch festgehalten hatte, presste er nun gegen die Wand. Für eine Sekunde war mein Gewissen wie ausgeschaltet. Ich schloss die Augen und dachte nicht mehr an die Konsequenzen, die uns bald erwarten würden. Das war mir alles gerade egal.

Meine Knie hätten zittern müssen, mein Herz hätte wie verrückt schlagen sollen und meine Gedanken hätten unruhig vom einem zum andern springen müssen. Doch das passierte nicht.

Es war als wäre ich hundert Prozent überzeugt, dass das, was Silver und ich gerade taten das einzig Richtige war. Als ich seine Lippen auf meinen spürte, seinen Geruch roch und sich seine Hand um meine schloss, war es, als hätte ich etwas gefunden, von dem ich bis gerade nicht gewusst hatte, dass ich es suchte. Dass ich es wollte und brauchte. Die ganze Energie, die sich über die letzten Tage angesammelt hatte, entlud sich in diesem Moment.

Leider war dieses Freiheitsgefühl nicht von langer Dauer. Erinnerungen, die ich ein paar Sekunden zuvor noch vergessen konnte, holten mich ein. Ich erinnerte mich, wem ich mich gerade hingab und verspürte nur noch Wut und Ekel.

Ich wollte Silver von mir wegdrücken. Ich wollte den Kuss, den Fehler, beenden und Silver bereuen lassen, was er getan hatte. Ich wollte eine Szene aufführen, die es verhinderte, dass weder er noch ich uns mit diesen Gefühlen auseinandersetzen mussten.

Ich, Sophie Evans, schwöre, dass ich es wirklich beenden wollte.

Und plötzlich war auch die Wut weg und ich spürte, wie Tränen über meine Wangen rollten. Ich bereute jedes verletzende Wort, das ich zu Silver gesagt hatte und auch jedes, das ich ihm in der Zukunft um die Ohren werfen würde. Denn ich wusste, dass dieser Kuss, so leidenschaftlich und aufrichtig er auch sein mochte, nichts an unserer Beziehung zueinander ändern würde.

Wir hörten Schritte, welche immer lauter wurden. »Da kommt jemand«, flüsterte ich zwischen unseren Küssen.

»Und wenn schon«, antwortete Silver. Er schlang nun die Hand, welche bis eben noch neben meinen Kopf gegen die Wand gedrückt war, um meinen Hals und fuhr mir in die Haare. Er zog seine andere Hand aus meiner, legte sie auf meine Taille und nutze sie, um mich noch näher an sich zu drücken.

Meine Hände legte ich über seine breiten Schultern und strich behutsam von seinem Hals bis hin zu seiner Wange.

Sie Schritte wurden lauter, doch plötzlich war es wieder komplett still. Wir hörten eine Frauenstimme, die sich räusperte. Wir fuhren erschrocken auseinander.

Schwer atmend blickten wir ertappt zu Olivia.

»Eine alte Schulfreundin. Aha, natürlich, Silver.« Sie starrte ihn mit vereister Miene an.

»Es ist nicht so, wie es aussie-«

Olivia hob genervt ihre Hand und unterbrach Silver. »Spar dir das. Du bist mir keine Erklärung schuldig. Ich wäre jedoch dankbar, wenn ihr euch mehr Mühe gibt euer Techtelmechtel zu verstecken. Oder macht es öffentlich, damit ich weniger Arbeit habe, es zu vertuschen«, sie drehte sich um und ging Richtung Ausgang. Silver und ich teilten uns einen unsicheren Blick.

»Um ehrlich zu sein hatte ich bei der Stille, einen solchen Streit vermutet, dass ich eine Leiche finde.« Sie blieb stehen, drehte sich um und sah nun Silver direkt in die Augen. »Dass du mich wieder betrügst, ist ja schon fast eine Erleichterung.«

Tränen glitzerten in ihren grünen Augen.

~*~

Der gleiche Tag, nach der Pressekonferenz.

Silver blickte nervös auf seine Uhr. »Wo bleibt sie denn?«. Er blickte immer wieder ungeduldig zum Ausgang, aus welchem Sophie jede Sekunde hätte kommen müssen. Das Taxi zum Vogue-Interview wartete bereits.

»Wer ist sie nochmal?«, fragte Olivia, welche neben ihm stand. Sie trug einen blauen Blazer und hatte ihre braunen Haare provisorisch nach hinten gebunden. Auf ihrer Nase saß eine dunkle Sonnenbrille, welche sie bei der Frage nach oben hob und ihre Arme vor der Brust verschränkte.

»Sophie? Eine Freundin aus der Highschool. Sie arbeitet für Logan«, antwortete er immer noch mit dem Blick auf den Ausgang gerichtet. »Das weiß ich, aber warum schleppst du sie von einem Termin zum nächsten?« Olivias Augen ruhten auf Silver. Sie fragte sich, was in ihn gefahren war, dass er so erwartungsvoll auf ein anderes Mädchen wartete.

»Ich tue Logan einen Gefallen. Er will, dass sie Erfahrungen sammelt oder so.«

Lüge.

Silver konnte Olivia nichts vormachen. Dafür kannte sie ihn zu gut und das wusste er. Wenn er log, wurde seine sonst so tiefe Stimme immer einen Ticken höher. Auch, wenn es kaum zu bemerken war.

»Aha, und deswegen nimmst du sie mit zum Red Carpet? Mich lässt du nie mit dir fotografieren!«

Nun schien Silver zu verstehen, dass Olivia verstimmt war. Er drehte sich zu ihr um und nahm ihre Hände. »Hör Mal, ich werde Sophie nach dieser Reise nie wieder sehen.« Olivia vermied Silvers Blick. Sie wusste, dass sie sich in seinen Augen verlieren würde.

»Na gut, und was wenn das falsch verstanden wird? Was wenn die Presse denkt, ihr seid ein Paar?«

Silver zog an ihrer Hand damit, sie ihn endlich ansah. »Hey, wir zwei arbeiten schon so lange zusammen und noch nie hat das jemand über uns geschrieben. Mach dir keine Sorgen.« Er lächelte sanft.

Doch dieses Mal konnte sein Lächeln Olivia nicht beruhigen. Sie war daran gewöhnt, dass sie sich Silver teilen musste, doch die andern Frauen waren normalerweise nur kurze Bekanntschaften. Dieses neue Mädchen kannte er bereits länger als sie. Olivia spürte, dass es mit Sophie anders war als sonst.

»Ich will einfach nicht, dass sie zwischen uns kommt!«, schrie sie Silver an, ohne zu bemerken, dass sich viele Passanten zu ihnen drehten. Silver ließ sie los und drehte sich wieder zum Ausgang. Er sprach ruhig und mit kühler Stimme.

»Was stellst du dich so an? Es ist nicht so als wären wir ein Paar«, antwortete er unbeeindruckt. »Das haben wir von Anfang an so abgemacht und bis heute morgen hattest du damit kein Problem.« Silver wusste nicht, warum Olivia bei Sophie so skeptisch war.

Olivia setzte ihre Sonnenbrille wieder auf, vermutlich um ihre nassen Augen zu verstecken. »Ja, aber ich seh doch, wie du sie ansiehst.«

Silver lachte auf. »Wie seh ich sie denn an? Voller Hass? Weil das ist es, was ich tue. Ich hasse sie.«

Olivia stieß ein verächtliches Schnauben aus. »Natürlich, deswegen lässt du sie auch bei dir im Zimmer schlafen gelassen?«

Silver hatte gehofft, dass sich dieses Detail nicht rumgesprochen hatte.

»Und wenn schon, das war nur für eine Nacht und sie schlief am Boden. Mach deswegen keinen Aufstand.« Er verschränkte nun auch die Arme vor der Brust. »Und wie ich einen Aufstand machen werde. Jetzt gleich im Taxi damit sie sieht, dass man dir nicht trauen kann.« Olivia hatte ihre Lautstärke immer noch nicht gesenkt.

»Zwischen Sophie und mir ist nichts und selbst wenn, hast du keinen Grund, wütend zu sein. Wir sind kein Paar, Olivia«, sagte er mit gedämpfter Stimme.

Olivia blieb nun still und Silver war überrascht. Normalerweise war ihr Temperament nicht so leicht zu bändigen. Vermutlich bereitete sie sich auf die Konfrontation mit Sophie im Taxi vor. Dazu durfte es nicht kommen.

Im nächsten Moment kam Sophie aus dem Gebäude. Ihre und Silvers Augen trafen sich für eine Millisekunde, doch sie hatte ihn nicht erkannt.

»Sophie kann allein zum Interview fahren. Ich will nicht mehr warten, steig ein!« Er öffnete die Türe und Olivia stieg ein. Bevor sie das tat, warf sie ihm jedoch noch ein zufriedenes Lächeln zu.

Ohne von Sophie gesehen zu werden, fuhren sie davon. Auf der Fahrt zum Interview konnte Silver Olivia beruhigen und sie versprach nett gegenüber Sophie zu sein.


Sweet Revenge in Paris | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt