Kapitel 10 - Der wahre Beschützer der Zeit

6 3 0
                                    

Die Uhr fiel herunter und auf dem Boden angekommen, zerbrach sie sofort. Alle schauten gebannt zu ihr. Kein Geräusch war zu hören bis auf einmal ein dröhnender Lärm aus dem Loch, in dem einst die Uhr hing, hervorbrach. Die Blicke wandten sich, vom kurzen Schrecken unbeeindruckt, ab. Doch meiner blieb. Die LT73 mit dem Lord, der Zeit und Christoph an Bord flog am Turm vorbei, als plötzlich eine rostbraune Klaue aus hervorschoss, sie festhielt und ins Innere des Turmes zog. Noch bevor das Flugzeug komplett verschwunden war, sah ich, wie der Lord heruntersprang, unsanft landete und mit letzter Kraft versuchte weg zu rennen. Seine Flucht blieb nicht unbemerkt, sodass nun auch bei den Skeletten am Boden blanke Panik ausbrach. Währenddessen hatte ich noch mit Zuckerschnäuzchen, die sich immer noch unter der Kontrolle des Lords befand, zu kämpfen. Erneut durchstreifte die Luft ein Dröhnen, gefolgt von Maschinengeräuschen, unter denen auch das Ticken einer Uhr zu hören war. Die Panik vergrößerte sich. Ich hatte große Mühen im Gedränge etwas zu erkennen, doch zwischen allem sah ich, wie der Lord hinter einer Häuserecke verschwand.
Unter großem Geschrei, kam aus dem Loch im Turm eine rostbraune Kreatur gekrochen, die wie eine Maschine aus Zahnrädern und Metall. Sie hievte zuerst die eine Klaue heraus, schob die andere hinterher und zog ihren spitz zulaufenden Körper hinter sich her. Das Klicken der Zahnräder war unüberhörbar als sie ihr Maul zum Gebrüll aufriss. Von ihrem Anblick erschrocken, fiel ich von Zuckerschnäuzchen hinunter, die zwischenzeitlich in Bodennähe flog. Mein verzweifelter Blick wandte sich von der Kreatur ab und fiel auf die Häuserecke, hinter der sich der Lord versteckte. Kurzerhand fasste ich den Entschluss dem Lord einen Besuch abzustatten, während die Angst vor der Kreatur in mir wuchs. Ohne viel nahzudenken, sprintete ich hinter die Ecke und sah den Lord, der zusammengekauert dasaß. Welch merkwürdiger jämmerlicher Anblick. Entschlossen packte ich ihn bei den Schultern, als wäre alle Angst, die ich vor ihm hatte von mir gewichen, und schaute in sein Schattengesicht. „Du hast uns das eingebrockt", fuhr ich ihn an, „Du wirst das nun auch wieder ausbaden." In Gänze eingeschüchtert entrückte ihm ein kleinlautes „Aber", doch ohne mit der Wimper zu zucken entgegnete ich: „Nichts << Aber>>!", nahm ihn und zog ihn vor das Haus auf einen Platz, auf dem die Kreatur wütete und versuchte die wild umherlaufenden Skelette zu fangen. Ein Dröhnen erklang und die Kreatur schaute zum Himmel, wie ein Wolf, der sein Jaulen ertönen lässt. Nun sah sie wieder hinunter und direkt auf den Lord. Ihm entfleuchte ein leises „Aber...Hilfe", da erstickte ihm der Ton im Hals. Die Kreatur griff nach ihm. Ihre leeren Augen sahen ihn an. Und wie sie ihn in ihren Klauen hielt, begann er sich in eine Bronzefigur zu verwandeln. Allmählich erstarrte sein Schattenkörper zu kaltem Metall. Es dauerte nicht lange, bis er vollständig verwandelt war. Die Kreatur ließ die Statue fallen und mit einem metallischen Klirren traf er auf den Boden. Er lag in einer Haltung der totalen Angst da.
Die Kreatur griff nun auch nach den Skeletten. Einen nach dem anderen ereilte das gleiche Schicksal wie den Lord.
Ich schaute dem Prozess von hinter der Häuserecke zu und versuchte mich mit dem Gedanken, dass ich in Sicherheit bin, zu beruhigen.
Ein Skelett nach dem anderen wurde gegriffen. Ein Skelett nach dem anderen verwandelte sich in Bronze. Und als keine Skelette mehr da waren, holte sie Zuckerschnäuzchen vom Himmel. „NEIN!", schrie ich. Doch es war spät. Sie war schon Bronze und fiel als Figur in heroisch aufgetürmter Statur hinunter. Wieder erklang dieses Dröhnen. Die Rostkreatur drehte sich zu mir und sah mich mit goldgelb leuchtenden Augen an. Ich sah sie entsetzt an und wollte fliehen, doch kaum begann ich zu rennen, hatte sie mich schon in ihrem Griff. Sie hielt mich einige Meter von ihrem Gesicht entfernt und blickte mir tief in die Augen. Ich konnte ihre Blicke spüren.
In dem Auge, dem ich gegenüber gehalten wurde, erkannte ich nun eine alt aussehende Uhr, deren Zeiger sich mit einer beständig-schnellen Geschwindigkeit drehten. Goldgelbe Strahlen umgaben sie, als sei sie heilig und eine Stimme machte sich in meinem Kopf breit. „Einhundert Jahre" flüsterte sie bedacht. Der Klang verstummte und nun begann auch ich zu Bronze zu werden. Das letzte was ich sah, war die Uhr in ihrem Auge und dann: Schwarz.


Ich höre Vögel zwitschern.
„War das alles nur ein Traum?" denke ich und öffne meine Augen. Ich liege in einem alten Bett, über dem sich Spinnweben breit machen. Nur wenige Sonnenstrahlen erhellen den Raum. Nur jene, die durch die Lücken der herausgebrochenen Glasstücke aus dem verschmutzten, altertümlichen Fenster fallen. „Wo bin ich?" schießt es mir in den Kopf. Ich versuche mich aufzustützen, doch ich merke meine Hand nicht. „Was zum-?", ich schaue auf meine Hand, die Kupfern glänzend das Licht reflektiert. „Bronze?" frage ich mich, „Aber wie?" Ich stehe auf und gehe zum Fenster und sehe auf einen Hof mit toten Bäumen. Er ist von einer gefallenen Mauer umgeben. In ihr klafft ein Loch. „Wo bin ich hier?" frage ich mich und gehe aus dem Raum hinaus und stehe in einem langen Flur. Die Bilder an den Wänden hängen schief und sind von Brandspuren und Spinnweben geprägt. „Das ist doch..." sage ich und schließe die Tür. Hinter ihr kommt ein verstaubtes und mit Spinnennetzen versehenes Skelett zum Vorschein. Seine Kinnlade steht offen. Ich erschrecke mich und renne den Flur entlang die Treppe hinunter. Unter meinen Füßen beginnen die Stufen zu knarren. Ich gehe aus dem Tor, der wohl der Eingang zu diesem Gebäude ist, hinaus, sehe mich um und drehe mich dem Gebäude zu. Direkt über dem Tor gibt es keinen Raum, jedoch eine vom Gebäude, das wie ein Palast aussieht, begehbaren weitläufigen Balkon. Auf ihm steht heroisch eine Drachenstatue, die zwischen den beiden Vorderpfoten eine große, langsam laufende Sanduhr hält. Eine Stimme in meinem Kopf erklingt: „Du hast noch bis zum ersten Strahl der Sommersonne. Leg dich hin." Die Stimme verstummt und ich tue, wie sie mir befohlen hat.


GrapuloreWo Geschichten leben. Entdecke jetzt