Kapitel 2 - Die Taube

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Es waren 10 Minuten, die ich gewartet hatte. 10 Minuten, in denen mich die schwärzeste Angst umgab. 10 Minuten, in denen wir vor den Wolken flohen. „Zuckerschnäuzchen! Flieg schneller!", rief ich, während Blitze vom Himmel schossen und mit einem lauten Knall auf die Welt herab fielen. Die Wolken kamen immer näher und ich schaute auf den rettenden Horizont. Es war mir klar, dass wir das alleine nicht schaffen konnten. Wir brauchten einfach Hilfe, egal woher. Doch wer konnte uns schon helfen? Schließlich beauftragte ich Christoph nur damit den Bunker vorzubereiten. Niemand andere hätte nur erahnen können, wo wir sind. Und so wusste ich, dass es für uns keine Hilfe geben wird. Die Wolken kamen immer näher und sie hatten uns fast schon eingeholt. „Da wird niemand kommen. Es kann niemand kommen.", dachte ich mir, während ich zu Zuckerschnäuzchen schaute. Mein Blick fiel zurück zum Horizont. „Wenn..."sagte ich in Gedanken versunken ohne Zuckerschnäuzchen auch nur einmal anzuschauen, „Wenn uns die Wolken einholen, so lass mich los und flieh!" Ich brauchte sie nicht zu sehen um zu wissen, dass sie bestürzt schaute. Ein leichtes Wanken meines Holzgefängnisses ließ mich fühlen, wie sie mitfühlend nickte. Meine Augen hielten verzweifelt an diesem schmalen, so schmalen Horizont fest. Einige Sekunden meinte ich etwas zu sehen, doch da war nichts. Ich muss es mir wohl eingebildet haben, dass uns ein Vogel entgegen flog. Doch er gurrte. Konnte es denn wirklich wahr sein? Ist es wirklich meine Taube, die direkt auf uns zuflog? Ich streckte meine Hand aus um sie zu begrüßen, denn mit jedem Meter, die sie und näher kam, erkannte ich, dass es meine Taube war. Kaum setzte sie zur Landung an hörte ich in der Ferne leise Motorengeräusche.Sie wurden immer lauter und auf einmal tauchte auch schon die LT73 am Horizont auf. Ein altes Flugzeug, dessen Zeit schon längst zerflossen ist. Es schien mir als preschte sie, so wie es Pferde tun, uns in der Luft entgegen. Sie flog mit einem lauten und dumpfen Brummen an uns vorbei. Ich hätte niemals gedacht ihn zu sehen, denn am Steuer saß Christoph. Als ich ihn entdeckte entglitt mir jegliches Gefühl. „Nein! Kehr um!" rief ich ihm entgegen. Doch er regte sich kaum. Er salutierte und nickte nur. Er hielt nicht an, er flog einfach weiter. Ich sah noch, wie er seinen Arm herunter nahm und ans Schaltpult legte, woraufhin die alten Gewehrläufe des Fliegers sich in Bewegung zu setzen. Hurtig und gehorsam schossen sie den Wolken entgegen.
„Das hättest du nicht tun müssen", sprach ich während meine Gedanken nur an ihm hingen. Ich konnte nur schwer von dem Versuch loslassen das alles hier zu begreifen. Als der Käfig anfing schwer zu krächzen, konnte ich mich endlich lösen. „Er wird uns Zeit verschaffen!", sagte ich und bemerkte, wie Zuckerschnäuzchen schwer zu schnauben begann. „Los Zuckerschnäuzchen! Nicht nachlassen.Du schaffst das." Meine Stimme wurde leiser und die Gedanken an Christoph begannen wieder in meinem Kopf zu tanzen. „Flieg, er soll es nicht um sonst getan haben."
Hinter uns schoss es nur noch. Es donnerte. Es blitzte. Und der Lord lachte.
Ich wusste, dass Christoph den Lord nicht lange ablenken konnte, doch wenigstens konnten wir fliehen. Da bemerkte ich die Taube, die eingeschüchtert in einer Ecke des Konstruktes kauernd wimmerte. „Es ist alles gut.", sagte ich ihr und strich ihr zur Beruhigung über den Kopf. Als sie sich entspannte bemerkte ich, dass sie einen Zettel, der an ihr Bein gebunden war mit sich trug. Ich löste ihn und las:
Fliegen sie. Ich komm schon zu Recht. Ich werde ihn ablenken.
Viel Erfolg euer Grafschaft. Der Bunker ist vorbereitet, die Wachen informiert.
Wir werden uns sehr bald wiedersehen. Hoffentlich.
Eine Träne fiel mir auf die Schulter und ich setzte mich mit der Taube im Arm hin.

Es verging eine halbe Stunde und es war schon so spät, dass die Sonne am Horizont verschwand, als ich bemerkte, dass wir angekommen waren. Ich bin froh, dass wir noch erfolgreich geflüchtet sind, doch es bedrückt mich der Umstand, der uns das ermöglicht hat. „Das hätte er nicht tun sollen. Das- Das hätte nicht passieren dürfen.", schießt mir durch den Kopf, während wir zum Bunker gehen wollten. Doch zu sehr konnte ich nicht darüber nachdenken, denn eine Stimme außerhalb der Palastmauern zieht mich aus meinen Gedanken: „Nimm das! Und das! Hier das auch noch!"
„Nicht der", dachte ich mir, „Nicht der noch." Ich drehte mich um zu meiner Drachendame, die mir langsam folgte und bat sie mich auf die Mauer hoch zu bringen um auf die andere Seite sehen zu können. Dort sah ich einen kleinen Jungen, der unschuldige Hamster sanft gegen die Mauer warf. „Nicht doch" sagte ich und senkte meinen Kopf schüttelnd, während ich mir meine Hand an die Stirn hielt. Die Hamster, die wieder auf dem Boden landeten, nutzten auch gleich die Gelegenheit um zu flüchten. Es schien mir, als hatte er einen ganzen Korb voll mit ihnen, doch jetzt gleich wird er leer sein. Als er den letzten Hamster warf schaute er zu Boden und begann bitterlich zu weinen. „Wieso kann nicht einmal etwas so funktionieren, wie ich es mir gedacht habe?" Er weinte nur noch stärker und drehte sich zum Gehen, wobei er den Korb, den er in der Hand hielt so sehr hängen ließ, dass auf dem Boden schliff. Einer Wache, die ich vorbeigehen hörte, winkte ich zu und deutete auf die Winde, die er benutzen sollte um dem Jungen das Tor zu öffnen. Es knarrte und krächzte, doch der Junge reagierte nicht." Komm!", rief ich ihm zu, "Komm rein." Dieses Mal schien er seine Umgebung wahrzunehmen und drehte sich um. Dabei wischte er die Tränen mit seinem Ärmel aus seinem Gesicht. „Wirklich?" fragte er mit so großen Augen, wie sie sie kein Hund hätte je machen können. „Ja, wirklich." antwortete ich ruhig. „Komm rein. Ich werde dir etwas erzählen." Er freute sich so sehr und es war mir als hätte er die Trauer sehr schnell von sich geworfen. Scheinbar überglücklich ging er springend durch das Tor. Derweilen hat mir Zuckerschnäuzchen wieder herunter geholfen.
Als der Junge den Drachen entdeckte, versteckte er sich hinter einer Wache. „Hab keine Angst, der tut nichts, besser gesagt sie. Sie tut nichts" sagte ich ihm mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Zuckerschnäuzchen senkte schon ihren Kopf und schaute so verspielt. Ich glaubte, dass sie sich so sehr über unseren Besucher freute. Ich ließ mich aber nicht durch sie ablenken und bat den Jungen zu mir. Als er so nah war, dass ich nicht mehr rufen musste, sagte ihm, dass er zu ihr gehen kann, wenn er mag. Zögerlich ging er dann auch zu ihr und Zuckerschnäuzchen warf ihn in die Luft. Der Junge schrie nur laut, doch meine liebe Drachendame fing ihn so auf, dass er gemütlich auf ihr saß. Mit dem Jugen auf dem Rücken sprang sie glücklich zum Bunker und ging mit ihm hinein. Doch bevor auch ich den Bunker betrat sah ich zurück über die Mauern, wo sich der Himmel schwarz färbte. Eine riesige, dunkle Wolke näherte sich. Unbeirrt befahl ich den Wachen alles dicht zu machen und die Bunkertür hinter mir zu schließen. Ich folgte Zuckerschnäuzchen, die zielstrebig auf den Versammlungsraum zu ging, durch die breiten und hohen Bunkerkorridore. Dort angekommen ließ sie den Jungen vorsichtig hinunter gleiten und ich nahm ihn mit in eine Ecke in der ein Tisch und paar Stühle standen. Er schaute mich verwirrt an und fragte, was ich jetzt vorhabe, da sagte ich ihm mit einem lieb gemeinten Lächeln: „Ich? Ich werde dir eine Geschichte erzählen. Weißt du, was das da draußen für eine Wolke ist? Nein? Gut, dann erzähl,..." ich unterbrach die Geschichte, die ich erzählen wollte, denn etwas gurrte. Ich schaute zu meiner Taube, die auf einem Tisch an dem einige Wachen saßen, Brotkrumen fraß. Doch sie gurrte nicht, sondern fraß glücklich ihre Brotkrumen. Es gurrte wiederum ein zweites Mal und eine schwarze Taube sprang auf den Tisch an dem ich saß. Sie schaute mich an und wog ihren Kopf hin und her, während sie mir tief in die Augen sah. Im Augewinkel bemerkte ich, dass an ihrem Fuß eine Nachricht fest gemacht war...

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