Kapitel 7 - Entgleisung

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Mein Blick verweilte kurz bei dem Spiegel und schwiff dann zu dem Jungen. Keinen Augenblick länger wollte ich länger hineinschauen, es war mir zu viel. Ich schob den Spiegel zur Seite und sprach zu dem Jungen: „Ich möchte es nicht sehen. Ich habe diese Bilder schon einige Male gesehen und ertrage sie nicht weiter. Bitte, erzähl du mir, wie du überlebt hast." Mit bittenden Augen sah ich ihn an, doch er drehte seinen Kopf nur zu mir und sagte: „Eigentlich wolltest du mir ja eine Geschichte erzählen. Aber dann erzähl ich dir halt eine." Ich merkte, dass er versuchte zu lächeln. „Ich sprang, wie du weißt. Doch es war nicht weit genug. Den Wagen mit den Wachen konnte ich auch nicht mehr greifen. Ich sprang einfach viel zu kurz." Sein Blick wurde sichtbar ernster. „Ich bin also mit dem ohnehin schon fallenden Wagon gefallen. Die Wache streckte ihre Hand aus, doch sie konnte mich nicht erreichen. Ich fiel. Dann war da ein gleißendes Licht. Es strahlte so hell und ein Zug erschien." Fragend unterbrach ich ihn: „Dieser hier?" Er nickte kurz und fuhr fort. „Ich fiel auf den Zug. Das Geräusch, dass ich beim Aufprall machte, musste scheinbar eine der beiden Zwillinge auf mich aufmerksam gemacht haben, denn kurz darauf schaute eine der beiden aus dem Fenster, wo sie mich sah und mich ohne zu zögern hinein zog. Die Wachen, die noch oben im Wagon waren schauten verdutzt und bemerkten nicht. Sie bemerkten nicht." Er hielt kurz inne und begann schwer zu schlucken. „Sie bemerkten nicht, dass auch ihr Wagon in den Abgrund fiel. Der Zug hier verschwand in einem gleißenden Licht und ich hörte nur noch Schreie. Angsterfüllte Schreie. Es war. Es war." „Grausam?" ergänzte ich, doch bevor auch nur einer von uns etwas sagen konnte begann das Eisenross zu zittern. Wie durch ein Erdbeben getroffen wackelten die Wagons. „Halt dich fest!" rief ich dem Jungen zu, dem einige Tränen die Wange herunter fielen. „Es war." Wiederholte er ein weiteres Mal. Ich hatte Angst, dass diese Erinnerung ihn nicht mehr loslassen wird, doch wenige Augenblicke später riss sich der Junge aus seinen Gedanken. Schnell suchte er etwas um sich fest zu halten, bevor er nach einem der Sitze griff. „ACHTUNG!" rief Diamanti durch den Zug und lief dabei stolpernd durch die Abteilungen. Mit jedem Schritt versuchte sie sich immer an einem neuen Gegenstand fest zuhalten, doch jedes Mal stolperte sie trotzdem fast. Jede ihrer Bewegungen überschlug sich. „ACHTUNG!" Wiederholte sie erneut. „Wir werden entgleisen! Wir fallen aus der Zeit!" In dem Moment bemerkte ich, wie der Spiegel auf dem Tisch hin und her rutschte. Irgendwann lag er auf der Kante von der er mit dem nächsten Zittern heruntergestoßen wurde und auf dem Boden in tausend Stücke zersprang. Der Junge und ich erschraken vom Zerbrechen des Spiegels. Diamanti hörte es auch und kam zurück gestolpert. Der Zug wankte immer stärker. Ihre Aufmerksamkeit fiel sofort auf den zerbrochenen Spiege, bevor sie uns fassungslos ansah während sie weiterhin versuchte nicht den Halt zu verlieren. „Der Spiegel ist zerbrochen!" erschrak sie und ergänzte, „Das ist nicht gut." Ich wollte gerade fragen wieso, da glimmte der Spiegel leicht bläulich auf und wie eine Seele, die einen Körper verlässt kamen leichte blaue Schwaden aus dem Spiegel. „Sie", begann Diamanti einen Satz, „haben nun die Möglichkeit uns zu finden." Der Junge schaute sie fragend an: „Wer kann uns finden?"
Nun schaute auch ich sie an und anschließend die Scherben. In einer spiegelte sich der Saal der Zeit, in dem ich Gabro vor einem Schatten knien sah. Hunderte, aber hunderte Skelette standen um den Schatten und die Zeit.
„Der Lord hat nun die Kontrolle?" entglitt es mir.

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