Kapitel 6 - Sternennacht

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„Nachtschleicher!" entfährt es mir, „Dass du dich wieder blicken lässt. Du kleiner", ich gehe auf ihn zu, „Mieser", meine Hand formt sich zur Faust und Wut steht mir ins Gesicht geschrieben, „Hinterhältiger", jetzt beginne ich auf ihn zuzurennen, ich hole aus, doch er bleibt seelenruhig mit einem süffisanten Grinsen stehen und schon schlage ich zu „Verrä-!", meine Hand trifft ins Leere und Nachtschleicher steht direkt hinter mir. Ich stolpere und falle hin. Erst jetzt realisiere ich, wo er nun steht, und ich schaue verdutzt. Mit einer lässigen Bewegung holt er mit seinen zum Schwimmen geeigneten Fingern etwas aus der Tasche und wirft es vor mich, wo es klirrend auf den Boden aufkommt. „Hier" sagt er von oben herab, „Ich dachte mir, dass du das gebrauchen könntest." Der Gegenstand leuchtet blau auf. Erst jetzt erkenne ich, was es wirklich ist: die Scherbe. Hastig krabble ich nach vorne und nehme sie in meine Hand um sie nach Beschädigungen abzusuchen, doch sie hatte keine.
„Gott sei Dank!", flüstere ich und halte sie fest in der Hand, während ich Nachtschleicher einen bösen Blick zuwerfe.
„Meine Güte, die kann nicht kaputt gehen.", sagt er besserwisserisch, während er an den Bücherregalen vorbei geht und die Bücher vorsichtig beäugt. Er greift nach einem, zieht es raus und pustet den Staub herunter. Ich muss niesen.
„Gesundheit", spricht er geistig abwesend nach hinten, doch ich danke ihm nicht. Er dreht sich mit dem Buch in der Hand zu mir, kommt einige Schritte auf mich zu, bis er direkt vor meinen Füßen steht. Er hockt sich vor mich hin, da ich bisher noch nicht aufgestanden bin. Mit ausgestreckten Armen hält er es mir hin. „Nimm. Du brauchst es." Ich greife zu und kaum halte ich das Buch, schon stellt er sich wieder hin. „Ich werde jetzt gehen, aber wo du reingekommen bist, wirst du nicht rauskommen. Das ist mein Weg. Nicht deiner." Er geht die Treppen herauf. Nach fünf Minuten fassungslosen Überlegens höre ich, wie die Tür zugeschlossen wird. Ich versinke immer weiter in Gedanken und beschließe Mal in das Buch zu schauen. Ich schlage es in der Mitte auf, wo mir eine Zeichnung entgegenkommt, die so aussieht wie die Scherbe, in der Gabro und Christoph eingesperrt sind und die mir Nachtschleicher gebracht hat. Ich lasse sie aus meiner Hand auf die Zeichnung gleiten, wo sie plötzlich anfängt, blau aufzuflammen. Aus den Flammen entwickeln sich zwei bläuliche Gestalten: Gabro und Christoph, doch sie sprechen nicht, sie deuten mir bloß in eine Richtung, in die ich gehen soll. Zögernd gehe ich da entlang und nehme das aufgeschlagene Buch, sowie die Scherbe darauf mit.
Links von mir läuft Gabro und rechts von mir Christoph. An etlichen Regalen vorbei, an einem Ort von dem es von der Decke tropft, bleiben sie stehen, doch ich laufe in Gedanken versunken weiter. Nach einigen Augenblicken bleibe ich auch stehen, jedoch nicht, weil ich mich frage, wo die beiden bleiben, sondern, weil meine Schuhe getränkt von Wasser sind. Ich schaue mich um und gehe auf die Beiden, die nur nach oben schauen zu. „Was ist denn-", fange ich zu fragen an, doch schaue selbst nach oben. Da ist ein Schacht durch den die Sterne leuchten. Es ist Nacht.
Wir stehen auf dem Grund des alten, zerstörten Brunnen, der vor den Mauern des Palastes steht. „Und." schaue ich sie fragend an „Und wie kommen wir jetzt da hoch?"

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