Prolog

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Mit konzentriert zusammengekniffenen Augen beugte sich der graue Hengst über das Reagenzglas in seinem Huf. Glänzend violette Flüssigkeit wogte darin auf und nieder. Bedrohliche Blasen wölbten sich in der dickflüssigen Oberfläche auf, verschwanden wieder, kehrten zurück, lösten sich wieder aus der homogenen Masse, nur um sich erneut damit zu verbinden. Es war ein sich ständig änderndes Fließen und Aufbranden, scheinbar gesteuert durch eine unsichtbare Macht.

Ein beißender Geruch stieg aus dem Behältnis auf, was die Nüstern des Hengstes unwillkürlich dazu brachte, sich zu kräuseln. Mit einem tiefen Atemzug nahm er die kühle, sterile Laborluft in seine Lungen auf.

Die Entscheidung war gefallen. Ihn würde nichts mehr aufhalten. Auch nicht die Tatsache, dass er bei seinem Vorhaben womöglich sterben würde. Er musste weiter kommen und dies war nur möglich, wenn er sich opferte. Opferte für das Wohlergehen der Gemeinschaft, die Zukunft aller Pferde.

Ein letzter Blick in die Mappe, in die seine Blutergebnisse niedergeschrieben waren. Die Zahlen stimmten. Falls alles richtig kalkuliert war, sollte dieses Mittel eigentlich keine Gefahr für ihn darstellen. Falls... Dennoch war das Risiko unsagbar hoch, bisher waren nur wenige Tests erfolgreich gewesen. Verschwindend wenige...

Tief atmete der Hengst aus. Entschlossen kniff er die Augen zusammen und fixierte das Reagenzglas, das er vor sich auf der glatten Tischfläche abgestellt hatte. Der violette Schein, der von der Flüssigkeit ausging, legte sich wie ein Parasit auf die Züge seines kantigen Gesichts nieder. Dadurch wirkten seine Konturen noch starrer und unnatürlicher als sonst.

Der Kontrast der hellen Deckenleuchte, schien das Ganze unwirklich und fern wirken zu lassen. Abgeschnitten von der Außenwelt hockte er da. Allein. Verantwortlich. Verantwortlich für das Fortbestehen einer Rasse.

Schweißgebadet biss der Hengst die Zähne zusammen. Ungesundes Knirschen. Zitternd umklammerte er die Flüssigkeit mit seinen Hufen und starrte sie durchdringend mit seinen geröteten Augen an. Durch das dickflüssige Gebräu hindurch, ließ sich schemenhaft der dahinter befindliche Experimentiertisch ausmachen. Bedeckt mit einer nahezu beruhigenden Unordnung und voll von für einen Normalbürger undefinierbarer Gegenstände.

Er war kein Normalbürger. Ganz und gar nicht. Er war das Pferd, das jetzt, in genau diesem einen Moment, die Welt für immer verändern würde. Ob in positivem oder negativem Sinne... Nach Ablauf des heutigen Tages würde nichts mehr sein wie zuvor.

Kein weiteres Zögern war mehr in seiner Seele vorhanden. Er würde es wagen, koste es was es wolle. Eisiger Laborgeruch breitete sich um ihn herum aus und stieg in seine Nüstern. Das Reagenzglas näherte sich wie durch einen fremden Huf gesteuert seinem Schädel. Stechend kroch der Geruch seine Schleimhäute hinauf. Sein Puls begann zu rasen. Adern traten an seinen Schläfen hervor, doch er schluckte die Angst einfach hinunter. All seine Sinne waren ausgeschaltet und einzig und allein auf das brodelnde Gebräu vor sich gerichtet. Er hob das Reagenzglas an seine Lippen. Nur noch wenige Zentimeter lagen zwischen seinem Maul und dem gläsernen Rand des Gefäßes, die er ohne Zeit zu vergeuden überwand.

Es brannte. Doch der graue Hengst blendete den Schmerz einfach aus. Es gab kein Zurück mehr. Kein Entrinnen. Nicht mehr lange und er würde die Herrschaft in seinen Hufen tragen. Er, einzig und allein. Die Macht über ein Volk.

Im Wahn weiteten sich seine Pupillen. Alles schien sich zu drehen. Sein Gleichgewichtssinn schwand. Erzitternd donnerte sein schwerer Körper zu Boden, das halbleere Glasgefäß zersplitterte in tausend Scherben auf den einst so sauberen und reinen Fließen. Violette Flüssigkeit spritzte nach allen Seiten und benetzte das graue Fell, verätzte es. Die ehemals weißen Fliesen brachen. Schaum sprudelte aus dem Maule des Hengstes. Krampfend und mit weit aufgerissenen Augen wand er sich am Grunde. Ein Beben durchfuhr seinen Leib. Verzweifelt scharrten seine Hufe an den silbernen Instrumenten entlang, die er damals selbst um sich herum aufgebaut hatte. Doch aus sie konnten ihn nun nicht mehr vor seinem Schicksal bewahren.

Ohrenbetäubendes Kratzen, Schaben. Rotes Blut ergoss sich über sein Fell. Kreischendes Wiehern schallte durch die Gänge. Schmerz und Pein durchströmten in Wellen seinen Leib, ließen seinen Kopf dröhnen, den er immer und immer wieder in Verzweiflung versunken gegen die harten Wände schleuderte. Im hoffnungslosen Versuch dem Schmerz zu entfliehen.

Aber der wogende Strudel war nicht zu stoppen. Binnen weniger Sekunden gewann er die Übermacht und riss den grauen Hengst gnadenlos mit sich. Ein letzter Schrei, dann war es still.

Zurück blieb einzig und allein das Schlachtfeld seines Fehlers.


Tuesday, 21.06.2018

Das Geheimnis der Winters AcademyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt