Mit einem siegessicheren Grinsen auf dem Gesicht, ließ Ray die schwere Eisentür hinter sich zufallen. Mallorys hysterisches Wiehern dahinter beachtete er nicht einmal. Das Einzige was zählte, war, dass er nun endlich etwas gegen Feivel im Huf hatte. Diesmal mehr als nur einen lächerlichen USB-Stick. Einen hübschen Nebeneffekt stellte die Tauglichkeit der kleinen Dunkelfuchsstute als Rekrutin für seine Mutter dar. Soweit er ihr zottiges, an einigen Stellen etwas gewelltes Fell und die dennoch sportliche Figur richtig beurteilte, handelte es sich bei ihr um einen Bashkir Curly Warmblutmix. Perfekt für einen kleinen Test mit dem für Mischlinge tödlichen Mittel.
Würdevoll warf Raymon seine Mähne zurück und schritt mit geschwellter Brust durch die sterilen, weißen Gänge der geheimen Labortrakte der Winters Academy. Schon eine ganze Weile herrschte Mangel an Versuchspferden. Und er hatte es nun tatsächlich geschafft, eines zu beschaffen. Kira würde stolz auf ihn sein. Wenn er es richtig mitbekommen hatte, fehlte der Studie für den öffentlichen Einsatz in Supermärkten nur noch ein letzter Stoß in die richtige Richtung. Bereits John hatte die Forschung für ein „Nahrungsergänzungsmittel" angemeldet. Natürlich wusste keiner, dass es sich dabei eigentlich um eine Substanz handelte, die sämtliche Mischlingspferde ausrotten sollte. Lediglich 100-prozentige Reinblüter blieben unversehrt. Und genau darin bestand die Schwierigkeit. Das Mittel durfte wirklich nur bei den Mischlingen greifen, sonst würde das ganze Unterfangen erstens Sinnlos sein und zweitens viel zu schnell auffliegen.
Verbissen dachte Ray an John Winters, der förmlich besessen davon gewesen war, eine Art Elite in Tuesday und Umgebung zu schaffen. Sein Vater - oder besser Adoptivvater, wie er nun wusste - hatte keine Kosten und Mühe gescheut, dieses Ziel zu verwirklichen. Es gab sogar eine Testreihe, in der er den Versuch gestartet hatte, perfekte Klone zu schaffen. Gleiches Erbgut in Reagenzgläsern aufbereitet hatte einige durchaus robuste Fjordpferde ergeben, von denen die meisten allerdings entweder frühzeitig verstorben waren oder heute hier als Kiras Huflanger tätig waren. Und dann gab es da natürlich noch das Mittel, an dem auch Ray intensiv geforscht hatte ... War es erst einmal für den Markt freigegeben, gab es kein Zurück mehr.
Ray schluckte schwer. Beim Gedanken an den grauen Hengst mit den finsteren, leeren Augen, lief es ihm eiskalt das Rückgrat hinunter. Wenn er darüber nachdachte, waren die Pläne, die John und nun Kira verfolgten, wirklich grausam. War es ein Fehler gewesen, ebenfalls an dem Mittel zu arbeiten? Bilder von Tyler O'Conory rauschten vor Rays innerem Auge vorbei. Dieser zerlumpte, grau gescheckte Hengst, der vermutlich Maultierblut in sich trug, war sein Vater. John war es nie gewesen ... Dennoch hätten er und Kira die Aufgabe als Eltern übernehmen müssen, ihn zu lieben und zu unterstützen. Stattdessen kümmerte sich Kira nur noch um Feivel, der scheinbar um so vieles besser war, als Raymon selbst. Grimmig stampfte der muskulöse Fuchsschecke mit dem Huf auf. Ob Kira und John wussten, dass Tyler sein Vater war? Wussten sie auch, dass ihr eigener Adoptivsohn ein Mischling war? Wie wildgewordene Moskitos schwirrten diese Fragen in seinem Kopf umher und ließen ihn rastlos mit dem Schweif peitschen.
Einschlossen raste er die steinerne Treppe hinauf, die ihn direkt wieder an die Oberfläche führen würde. Wenn er sich nicht irrte, steckte Kira in ihrem Büro und durchwühlte irgendeinen belanglosen Papierkram. Fest nahm Ray sich vor, ihr zuerst von seinem Fang für die Experimente und direkt im Anschluss von Tyler zu erzählen. Er musste wissen, ob sie über diesen Alkoholiker Bescheid wusste. Wenn dem so war, war er hier nicht mehr länger sicher. Und falls nicht, musste er die Fassade des folgsamen Reinblüters so lange aufrecht erhalten wie möglich.
Schwungvoll stieß der Fuchsschecke die Tür zu dem Gang mit den Laborräumen auf. Statt auf seine Umgebung zu achten, eilte er schnurstracks auf die andere Seite und fand sich sogleich vor der Türe des Büros seiner Mutter wieder.
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Das Geheimnis der Winters Academy
Ficção AdolescenteDas Blut in seinen Adern gefror. Mit aufgerissenen Augen starrte er die Gestalt an, die sich bedächtig aus den Schatten löste und in das spärliche Licht trat, das aus den Fenstern der Winters Academy nach draußen drang. „Ray- Raymon, was machst du...