Mit frischem Atem in den Lungen trabte Ray zurück nach Hause. Die feuchten Grashalme unter seinen Hufen gruben sich borstig in seine Ballen, doch auch das konnte seine nun deutlich bessere Laune nicht senken. Ein diabolisches Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. Er musste nur den USB-Stick aus seiner Schublade nehmen, ihn seiner Mutter zeigen und zack: Feivel war geliefert.
„Ich bin wieder da!", wieherte er ins warme Haus hinein, noch ehe er es überhaupt betreten hatte. Doch wie üblich wartete er auf eine Antwort vergeblich. Rick war sicher viel zu vertieft in seine Videospiele, um auch nur irgendetwas um sich herum wahrzunehmen.
Pfeifend schloss Ray die Tür hinter sich und warf lässig seine dichte, kurze Mähne zurück. Seine schlechte Laune war wie weggeblasen, ebenso wie das Verlangen danach, alles um sich herum kurz und klein zu schlagen.
„Hi Rick", begrüßte er seinen Kumpel, der wie erwartet auf der Couch fläzte und den Fernseher anstarrte.
„Hey, Bro", gab dieser mit seiner kratzigen Stimme zurück, ohne auch nur Anstalten zu machen, sich zu ihm umzudrehen.
Schulterzuckend kickte Ray eine verbeulte Dose beiseite und bahnte sich seinen Weg zum Nachttisch. Ruckartig zog er die Schublade auf. Seine stechend blauen Augen flogen verwirrt über das darin vorliegende Chaos. Kritisch musterte er die wahllos hineingeworfenen Gegenstände, doch wieder Erwarten war die silberne Kette mit dem Stick nicht darunter. Nein, das durfte einfach nicht wahr sein.
Hecktisch schnaubend fuhr Ray zu dem zottigen Apfelschimmel am anderen Ende des Raumes herum. „Hast du was an meinen Sachen gemacht?", fauchte er.
Langsam drehte dieser den Kopf. „Warum sollte ich?" Dümmlich kichernd zog er eine Augenbraue hoch.
Zornig stampfte Ray mit dem Huf auf. Das konnte doch nicht sein Ernst sein. „Wo ist er dann?" Impulsiv scharrte er am verwüsteten Boden. Er hätte es wissen müssen. In dieser Unordnung verlor man so kleine Dinge wie geklaute USB-Sticks einfach viel zu leicht.
„Wo ist was?" Noch immer schien Rick mit seinem Kopf ganz wo anders zu sein. Wahrscheinlich geisterte er mal wieder in irgendeiner fiktiven, animierten Welt herum und besiegte irgendwelche Monster.
„Der Stick!", wurde Ray laut. „Ich hab dir doch gesagt, du sollst aufpassen, wenn ich nicht da bin!"
„Hast du gar nicht", kam es als genervtes Zischen zurück.
Stöhnend rammte Ray seinen Schädel gegen eines seiner zerknitterten, grauen Kissen. „Heute vielleicht nicht, aber die zehntausend anderen Male schon!" Mit wütend in Falten gelegter Stirn richtete er sich wieder auf. „Ist irgendwas passiert, als ich weg war? War jemand hier?"
Schuldbewusst sog Rick die Luft ein. „Ja...", grummelte er kleinlaut.
Panik stieg in Rays Körper auf. „Wer?"
„Clementine und dieser Feivel. Die haben nach irgendwas gesucht ..."
„Hast du sie noch alle?!", brüllte Ray ihn an und schnellte auf ihn zu. Mit geübtem Griff schmetterte er den Schimmel zu Boden und hielt ihn dort fest. „Du kannst doch nicht einfach irgendwelche Wildfremden in meinem Zimmer rumwühlen lassen!" Er kochte förmlich vor Wut.
„Sie haben halt gesagt, hier ist etwas, das ihnen gehört", röchelte Rick. Seine Kehle wurde von Rays Hufen so eingeklemmt, dass er gerade noch atmen konnte.
„Verdammte Scheiße!", schrie Ray auf. Knurrend stieß er Rick von sich, der rumpelnd in ein Regal rasselte, das dröhnend in sich zusammen fiel. Damit war das Bild des Schlachtfeldes komplett.
Gerade wollte Ray zu einem heftigen Tritt gegen eine Bierflasche ausholen, die neben dem Sofa auf dem Boden herumstand, als es klingelte.
Noch immer nahezu explodierend vor Zorn stampfte er aus dem Raum. „Du solltest mal aufräumen!", keifte er noch zu seinem Kumpel, dann knallte er die Zimmertür hinter sich zu.
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Das Geheimnis der Winters Academy
Teen FictionDas Blut in seinen Adern gefror. Mit aufgerissenen Augen starrte er die Gestalt an, die sich bedächtig aus den Schatten löste und in das spärliche Licht trat, das aus den Fenstern der Winters Academy nach draußen drang. „Ray- Raymon, was machst du...