Zischend schlossen sich die Bustüren und das Gefährt setzte sich mit einem trägen Ruck in Bewegung. Feivel legte seine Tasche auf dem freien Sitz neben sich ab und lehnte sich unruhig ausatmend zurück. Darin lagerten fein säuberlich aufgereiht in einer Kühlbox die Gefäße, in die die Proben gefüllt werden sollten, die er für Kira abholen sollte.
Glücklicherweise gab es eine Buslinie, die Feivel direkt von der Winters Academy ins Zentrum Tuesdays bringen würde. Von dort aus würde es nicht mehr weit zu dem Gewebelabor sein. Sein Blick schweifte nach draußen. Durch die verdreckten Fenster ließen sich Wiesen, Felder und sogar einige kleine Waldstriche ausmachen. Die Uni lag zwar nicht sonderlich weit entfernt von der Stadt, jedoch befand sie sich gut versteckt in der nahezu unberührten Natur. Umso besser geeignet, um dort geheime Forschungen durchzuführen, schoss es Feivel durch den Kopf.
Da vibrierte auf einmal Feivels Handy. Genervt zog er es hervor und entsperrte es mit einem raschen Wischen über das Display. Eine Nachricht von Simon. „Viel Spaß heute Mittag."
Erleichtert platzierte er das Gerät auf dem bereits leicht ergrauten, rot gemusterten Stoff des verblichenen Bussitzes neben sich. Seinem Freund hatte er schlechten Gewissens erzählt, er würde heute seine Eltern besuchen und erst am späten Nachmittag wieder zurückkehren. Auch wenn ihm nicht ganz wohl bei der Sache war, verschaffe es ihm genügend Zeit, seinen Auftrag unbemerkt auszuführen.
Wenig später zeichneten sich hinter den Hügelkuppen bereits die ersten Häuser ab. Der holprige Feldweg wurde durch eine glatte Straße abgelöst und schon bald drang gedämpfter Motorenlärm und Stimmengewirr ins Innere des Fahrzeugs vor. Bereit auszusteigen, packte Feivel seine Tasche und erhob sich langsam von dem unbequemen Sitzpolster. Routiniert drückte er einen der Stopknöpfe, die an den gelben Haltestangen angebracht waren, und wartete auf ein Signal.
Holpernd kam der Bus an einer überfüllten Haltestelle zum Stehen. Obwohl Feivel nicht sonderlich groß war, bedurfte es einiger Anstrengung, sich an all den wiehernden Leibern vorbei ins Freie zu drängen. Eine Scheckstute stand quer in der Tür und unterhielt sich angeregt mit einem hellen Buckskin, während einige lachende Fohlen ihre Schultaschen förmlich auf die Sitze pfeffern. Die ganze Zeit über war abgesehen von Feivel nur ein einziges Pferd im Bus gewesen, ein unscheinbarer Norweger. Doch nun, da sie endlich die Stadt erreicht hatten, war alles schier überflutet vor Pferden in allen möglichen Formen und Farben.
Nach langer Busfahrt mal wieder festen Asphaltboden unter den Hufen, taumelte Feivel an der Traube vorbei und entfernte sich von der Bushaltestelle. Hier gab es weder Bäume noch sonst etwas, was auf etwas Natürlichkeit schließen lies. Nahezu alles bestand aus eintönig grauem Gestein und Metall. Blitzende Autos schossen an ihm vorbei und der Lärm war unerträglich. Die einzigen bunten Flecken, die man ab und an vorfand, waren hässlich schmierige Graffitis oder der verbliebene Müll irgendwelcher Jugendbanden. In seiner Heimatstadt war es wesentlich ruhiger zugegangen.
Mit gezücktem Handy den Stadtplan studierend, schlängelte sich Feivel nun durch die belebten Gassen. Das Gewebelabor dürfte nicht schwer zu finden sein, dennoch war der junge Hengst etwas unsicher, ob es ihm gelingen würde, den richtigen Weg zu finden. Die Kühlbox an die Brust gepresst bog er in eine Nebengasse ein, um sich ein bisschen vom Stadtlärm abzuschotten. Mit zitternden Hufen gab er seinen Zielort ein. Würden andere Pferde es seltsam finden, wenn sie ihn hier mit einer Kühlbox herumlaufen sahen? Was, wenn er zufällig auf einen Bekannten stieß, was würde er sagen? Dass er im Auftrag seiner Uni hier war? Rein theoretisch entsprach das sogar der Wahrheit. Feivel fragte sich, um welche Art Gewebeproben es sich handelte und warum sie im Labor Tuesdays gelagert waren. Wie kam Kira dazu, gemeinsame Sache mit den Forschern dort zu machen? Und mit welcher Intention?
Rasch schüttelte er seine kurze Mähne, um seinen Gedankenstrom zu stoppen. Sinnlos herumzugrügeln brachte ihn gerade nicht wirklich weiter. Mit neuer Konzentration kniff er die Augen zusammen und starrte auf den mickrigen Bildschirm in seinem Huf. Blaue Linien leiteten ihm den Weg. Zumindest sollten sie das. Obwohl das Handy theoretisch rechtzeitig einblendete, wann er wo abbiegen musste, war Feivel so verwirrt von den vielen Abzweigungen und Gassen, dass er mindestens fünfmal wieder umkehren und den Weg neu suchen musste. Die vorbeigehenden Passanten mussten ihn doch für vollkommen bescheuert halten. Ein paar augenrollende Blicke, die sich der am Handy klebende und immer wieder auffällig unauffällig nach Netz suchende Hengst einfing, sprachen für sich.
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Das Geheimnis der Winters Academy
Teen FictionDas Blut in seinen Adern gefror. Mit aufgerissenen Augen starrte er die Gestalt an, die sich bedächtig aus den Schatten löste und in das spärliche Licht trat, das aus den Fenstern der Winters Academy nach draußen drang. „Ray- Raymon, was machst du...