Das süße Zwitschern der Vögel weckte Feivel in angenehmer Weise. Er schlug die Augen auf und lies seinen Blick durch das Zimmer schweifen. Warm und hell schien die Morgensonne durch das Fenster über Simons Bett in den Raum hinein und malte hübsche Muster auf die weißen Laken.
Im Gegensatz zu Feivel schlummerte der kleine gescheckte Hengst noch selig vor sich hin. Die Wärme, die sein dunkles Fell bestrahlte, schien er nicht einmal wahrzunehmen. Nur ein seichtes Zucken ging ab und an durch seinen Körper, als würde er träumen.
Im letzten Monat hatten sich die beiden wirklich gut in der Winters Academy eingelebt. Simon war Skyla immer näher gekommen und Feivel hatte es mehr oder weniger geschafft, die aufdringliche Clementine abzuschütteln. Er hatte die Schimmelstute schon seit einer ganzen Weile nicht mehr am Hals gehabt. Womöglich hatte sie ein anderes Opfer gefunden, aber eigentlich war es ihm relativ egal was sie so trieb. Was Ray anging, herrschte gerade ebenso Flaute, was Feivel mit Freude begrüßte. In den letzten Wochen hatte er den Fuchsschecken kaum gesehen. Er war nur noch selten in Vorlesungen anwesend und außer ab und am mal in der Cafeteria auch sonst kaum anzutreffen. Ehrlich gesagt war Feivel darüber ziemlich erleichtert, da er sich somit keine Sorgen machen musste, erneut von ihm überfallen zu werden, wenn er sein seltsamen Forderungen nicht erfüllte.
Der gepunktete Hengst hatte in Simons Gegenwart noch immer kein Wort über den Vorfall mit Ray verloren. Warum er es sich für sich behielt, wusste er selbst nicht genau, aber irgendwie hatte er das Gefühl, es wäre besser, wenn es vorerst niemand wusste. Dennoch war ihm unwohl dabei, seinem Freund etwas derartiges zu verschweigen, doch er wollte ihn nicht unnötig belasten. Die Situation schien sich ohnehin mittlerweile wieder normalisiert zu haben. Ray war kaum anwesend und auch Prof. Winters überschwängliche Lobreden hielten sich in Grenzen.
Einer Person hatte Feivel es jedoch berichten müssen: Mallory. In letzter Zeit führten sie immer längere Telephonate über Gott, die Welt und ihr neues Leben als Studenten. In gewisser Weise fühlte sich Feivel schuldig, dass er nur der Dunkelfuchsstute von der Sache mit Ray erzählt hatte und nicht Simon, aber gerade schien es sowieso belanglos geworden zu sein.
In diesem Moment regte sich etwas in der Schlafstätte des Scheckponys. Müde öffnete Simon die Augen und gab ein langes Gähnen von sich.
„Morgen Schlafmütze", kicherte Feivel und erhob sich aus den Laken.
Grummelnd wälzte sein Freund sich auf seinen beiden Kissen zur Seite. Er hatte das des leeren, dritten Bettes ebenfalls an sich gerissen, da Zimmer 29 offenbar wirklich nur zwei Bewohner besaß.
Feivel griff nach seiner Tasche, die er immer mit zu den Vorlesungen nahm. Neben ihm räkelte Simon sich verschlafen, hängte träge seine Kette um den Hals und steckte sich die ID-Karte an den Pelz. Natürlich nahm er auch die kleine Packung Bambuskaugummis mit, die er immer bei sich trug. Auch wenn Feivel die Dinger gar nicht mal so widerlich fand, hatte er es außer am ersten Tag kein weiteres Mal gewagt, eines davon zu probieren. Die Geschmacks-richtung war ihm dann doch ein wenig zu exotisch.
„Komm, wir gehen runter was essen." Zielstrebig setzte der zottige, gescheckte Hengst sich in Bewegung. Feivel folgte. Essen klang gut.
Unten angekommen empfing sie das übliche Treiben. Pferde in allen Formen und Farben waren an die einzelnen Tische verteilt oder verweilten am Buffet. Einige plauderten lebhaft miteinander, andere saßen stumm da und beschäftigten sich mit ihren Handys.
Wie jeden Morgen wartete Skyla bereits hinter der Theke auf die beiden Hengste und drückte ihnen direkt je ein Tablett in den Huf.
„Morgen, Leute!" Wie üblich war die Palominostute hellwach und fröhlich. Sie war bestimmt schon seit ein paar Stunden auf den Beinen, um das Essen vorzubereiten.
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Das Geheimnis der Winters Academy
Teen FictionDas Blut in seinen Adern gefror. Mit aufgerissenen Augen starrte er die Gestalt an, die sich bedächtig aus den Schatten löste und in das spärliche Licht trat, das aus den Fenstern der Winters Academy nach draußen drang. „Ray- Raymon, was machst du...