Kapitel 1

235 18 2
                                    

Stimmengewirr, Wiehern und vereinzelte Jubelschreie. Für eine introvertierte Persönlichkeit an einem sonnigen Freitagnachmittag wie diesem nicht unbedingt der Aufenthaltsort erster Wahl.

„Feivel Cooper!"

Beim Klang seines Namens zuckte der junge Hengst unweigerlich zusammen.

Die zierliche Fuchsstute Miss Steel schlug genervt mit dem Schweif. Sie stand hinter einem breiten Pult auf der Bühne der Aula der Jefferson High, worunter sich zur Feier des Anlasses eine umfangreiche Pferdetraube angesammelt hatte. Mit ihren lebhaft funkelnden Augen, suchte die Stute die Menge nach dem soeben Aufgerufenen ab.

Als Feivel nicht sofort reagierte, stampfte sie bekräftigend mit dem Huf auf dem Boden auf. Ihrem monotonen Tonfall nach zu urteilen, bereitete es ihr nicht sonderlich große Freude, die Abiturienten nach vorne zu bitten, um ihnen die Abschlusszeugnisse zu überreichen.

Obwohl seine Tutorin dieses Ereignis wohl als nicht sonderlich bedeutungsvoll einzustufen schien, fuhr ein nervöses Zittern durch Feivels Beine. Unruhig zuckten seine Augen über die Pferdemenge, in deren Mitte er sich bis gerade eben noch verborgen hatte. Es hatte ihm noch nie behagt, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, doch heute führte kein Weg daran vorbei. Mit zunehmend beschleunigter Atemfrequenz spürte Feivel die Blicke seiner Stufenkameraden auf seinem Fell, die bereits teilweise neben Miss Steel auf dem Podest Stellung bezogen hatten.

Während er aus den unordentlichen Reihen der übrigen Schüler und ihren Angehörigen trat, wagte der Hengst, langsam den Kopf zu heben. Unangenehm heiße Schweißperlen bildeten sich unweigerlich auf seinem hell gesprenkelten Appaloosafell. In dem verzweifelten Versuch, etwas Ruhe in seinen aufgewühlten Körper zu bringen, atmete er tief durch.

Es ist nur eine Zeugnisübergabe, sagte er sich immer und immer wieder. Nichts, wovor du dich fürchten musst. Zum wiederholten Male an diesem Tag, verfluchte er sich für seine ausgeprägte Schüchternheit.

Endlich schaffte er es, seine Beine zu aktivieren und sich in Bewegung zu setzten. Für einen kurzen Moment trafen sich seine Blicke mit denen Miss Steels. Ein Schauder durchfuhr ihn, als er in die tiefgrünen Augen der Stute sah, die ihn plötzlich nicht mehr so missmutig wie zuvor, sondern in tiefem Ernst musterten.

Erst als der Blickkontakt zwischen ihnen wieder abbrach und Miss Steel sich zerstreut wirkend eine Strähne aus dem Gesicht pustete, bemerkte Feivel die ungewohnte Stille, die sich in dem großen Raum ausgebreitet hatte. Auch wenn es schwer viel, all die unmittelbar auf ihn gerichtete Aufmerksamkeit an sich abprallen zu lassen, gelang es ihm, seinen Geist von der stressigen Situation zu isolieren.

So setzte er seinen Weg auf die Bühne fort. Inmitten des angespannten Schweigens, klapperten seine Hufe befremdlich laut auf dem kalten Steinboden der Aula. Als er die provisorisch errichtete Treppe erreichte, die auf das Podest führte, stellte er glücklicherweise fest, dass das weiche Holz seine Hufschläge etwas abdämpften. Trotzdem war alle Aufmerksamkeit noch immer allein auf ihn gerichtet. Teils genervt, teils ebenso angespannt wie er selbst, beäugten die übrigen Abiturienten ihn von ihrem Standpunkt auf der Bühne aus. All jene, die bereits ihr Zeugnis erhalten hatten, hatten sich dort in einer mehr oder weniger geordneten Reihe aufgestellt.

Glücklicherweise waren auch einige unter ihnen, die statt der Zeremonie zu folgen, lieber mit ihrem Nachbarn tuschelten. Diese Tatsache lies Feivel zumindest ein wenig entspannen. Er hatte es nie gemocht, im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen, da kam es ihm gerade recht, dass sich einige Pferde absolut überhaupt nicht für ihn zu interessieren schienen.

Ohnehin war Feivel immer der Außenseiter der Stufe gewesen. Nicht zuletzt wohl wegen seiner schüchternen Art. Die meisten seiner Kameraden hielten ihn für einen seltsamen Streber, der es nicht nötig hatte, mit andern Pferden zu kommunizieren. Kaum einer ahnte, dass hinter dem äußerlich klugen Hengst, ein ängstliches, scheues Fohlen steckte, welches sich schlichtweg nicht traute, seine Mitschülern anzusprechen.

Das Geheimnis der Winters AcademyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt