„Alles klar, Feivel?" Fürsorglich zupfte Kira an seinem hellblauen Kittel herum.
Sein Zittern mühsam verbergend, nickte er. Zusammen mit der Rappstute stand er vor der Tür, die sie von der geheimnisvollen Unterwelt der Winters Academy trennte. Noch immer hatte er kaum eine Ahnung, was ihn gleich erwarten würde. Alles, wovon er wusste, war eine anscheinend eigenes für ihn organisierte Zeremonie, die ihn endgültig in Kiras Team aufnehmen sollte. Ehrlich gesagt wunderte diese Tatsache ihn etwas. Angst und Zweifel begannen langsam aber sicher an seinem Pelz zu nagen. War es tatsächlich seine beste Idee gewesen, sich darauf einzulassen. Was, wenn es nach der Zeremonie wirklich kein Zurück mehr gab.
„Es geht los", flüsterte Kira ihm vertrauensvoll zu, ehe sie ihren kleinen, silbrig glänzenden Schlüssel hervorholte und die Tür vor ihnen aufschloss. Knackend drehte sich der Schlüssel und setzte einen Mechanismus in Gang, der geräuschvoll die Tür entsperrte. Unwillkürlich musste Feivel an das Schlüssel-Schloss-Prinzip der Enzyme denken, das ihm jeder seiner Biolehrer in der Schulzeit bis zum Austreten gepredigt hatte. Was würde er jetzt darum geben, einfach nur als der schüchterne Streber, der er damals war, hinter einer kaugummiverklebten Schulbank zu sitzen und dem Gelaber eines Lehrers zu lauschen. Die Schulzeit war die Hölle gewesen, aber diese erdrückende Ungewissheit, in der er gerade schwebte, war noch ein gutes Stück schlimmer.
Knarzend schwang die Tür auf. Wie üblich brach das gleißende Licht der Neonröhren schmerzhaft auf Feivel ein. Einem Moment lang sah er kaum etwas, doch dann zeichneten sich nach und nach klare Konturen vor dem weißen Hintergrund ab.
Wirres Wiehern erfüllte den sonst so leeren und kahlen Gang. Es wimmelte nur so von mehr oder weniger an den Rändern aufgereihten Pferden, die Kira und Feivel erwartet zu haben schienen. Ihm war nicht bewusst gewesen, wie viele Mitwisser der Geheimnisse der Winters Academy es doch gab.
Sobald die beiden endgültig in den großzügig ausgeleuchteten Korridor getreten waren, hatte sich eine Art Gasse formiert und zahlreiche Blicke bohrten sich gnadenlos in Feivels Fell. Das Herz pochte wie wild gegen seine Brust, als wolle es hinausbrechen und das Weite suchen. Mühsam musste Feivel gegen das Zucken seiner Beine ankämpfen, die sich instinktiv zur Flucht bereit machen. Eigentlich sollte er gar nicht hier sein. Sich auf Kira einzulassen, was der größte Fehler seines Lebens gewesen. So gut es ging, schüttelte er den Gedanken ab. Er war weder Kiras noch ihrer Ideologie wegen hier. Nein, einzig und allein, um Mallory zu retten und den Grausamkeiten, die an der W.A.S. vor sich gingen, ein Ende zu setzen.
Da verspürte er plötzlich einen freundlichen aber dennoch jähen Stoß in die Seite, der ihn aus den Gedanken riss. Auffordernd sah Kira ihn aus ihren onyxschwarzen Augen an. Unsicher wagte Feivel ein paar Schritte vorwärts. Die um ihn herum anschwellenden Jubelrufe hörte er durch das in seinen Ohren tosende Blut kaum. Kira stieß ihn erneut an und schleuste ihn durch die Gasse, die die Pferdemenge für sie gebildet hatte. Um sich von seiner aufwallenden Furcht abzulenken, ließ der Hengst seinen Blick im Vorbeigehen über die Gesichter gleiten, die ihn allesamt ungeniert musterten. Die Meisten von ihnen hatte Feivel noch nie zuvor gesehen. Zwei Gestalten erkannte er jedoch ganz genau. Rays eiskalt blitzende Augen glitten nahezu angewidert an ihm auf und nieder. Direkt neben ihm stand eine dürre, braune Stute. Dr. Charlson. Mit Unschuldsmiene lugte sie hinüber zu dem Fuchsschecke. Ebenso wie Feivel wusste sie über dessen wahre Abstammung Bescheid. Nun ja ... Alles was Feivel dank ihrem unfreiwilligen Zusammentreffen in Kiras Büro wusste, war, dass Kira und John nicht Rays richtigen Eltern zu sein schienen. Doch das reichte ihm definitiv aus, um Ray mit noch größerer Skepsis zu begegnen als ohnehin üblich.
Unbeirrt leitete Kira Feivel weiter. Schier endlos lang erstreckte sich die Reihe der Pferde, an denen sie vorbei zogen. Je weiter sie kamen, desto stärkere Unruhe stieg in ihm auf. Wo auch immer dies hinführte, der Zeitpunkt der sogenannten Zeremonie rückte unweigerlich näher.
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Das Geheimnis der Winters Academy
Teen FictionDas Blut in seinen Adern gefror. Mit aufgerissenen Augen starrte er die Gestalt an, die sich bedächtig aus den Schatten löste und in das spärliche Licht trat, das aus den Fenstern der Winters Academy nach draußen drang. „Ray- Raymon, was machst du...