Kapitel 106

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POV Toni:

Es war arschkalt draußen. Ich wollte den Sommer zurück. Die Temperatur sank und sank. Meine Laune ebenfalls. Ich saß auf dem Stuhl mit meinem heißen Kaffee in der Hand. Mein Laptop vor mir. Finn hatte einen Artikel geschrieben. Und nun las ich ihn, in dem Medizinblatt. Er war gut und das wusste er. Ich merkte es mit jedem Wort das ich las. Seine Worte waren ausdrucksstark. Er wusste wie er was und welche Situation beschreiben musste. Und es machte mich kirre. Diesen perfekten Artikel zu lesen.

„Was machst du?", ertönte die Stimme von Alexander hinter mir. „Mir Finns unglaublichen Artikel durchlesen. Es ist einfach- es ist einfach perfekt. Das ist schön für ihn, für seine Karriere, ja. Aber warum muss der Artikel jetzt kommen?", es war- so wusste ich jetzt- nichteinmal wie der Artikel geschrieben wurde was mich so aufregte. Sondern alleine die Tatsache, dass es um dieses Thema ging. Er hatte an wenigen Probanden die Auswirkungen von einer Posttraumatischer Belastungsstörung von Soldaten untersucht und wie diese ihren Alltag mindert. Dabei hatte er Hilfe von irgendeinem Psychologen. Und es war das was mich so kirre machte. Er schrieb über PTBS bei Soldaten. Und Henry war dabei nach Hause zu kommen. Zumindest ist das der Plan gewesen. Er antwortet schwammig über seine Rückreise. Und ich bin mir nicht so sicher ob es ihm tatsächlich so gut geht, wie er immer sagt. Oder ob er so schwammige Antworten gibt, weil es von seinem Gesundheitszustand abhängig ist wann und ob er zurück nach Deutschland kann.

Diese Tatsache ließ mich schlecht bis gar nicht schlafen. Ich machte mir nur Sorgen um ihn. Auch wenn er sich beim telefonieren immer normal anhörte. Noch normal anhörte.

Alex strich über meinen Rücken und setze sich auf den Stuhl neben mir. „Und du willst mir erzählen, dass es dich nur aufregt das er einen Artikel geschrieben hat?", er schaute mich sanft an und fuhr fort. „Ich kenne dich. Also worum geht es?", die Überschrift hatte ich weg gecrollt. „Nein es ist nur-", ich unterbrach mich selbst als mein Handy zu vibrieren anfing.

„Mach dir keine Sorgen. Ich Versuch heute noch was rauszufinden. Bin bald wieder da, Versprochen. Ich hab dich lieb.", hatte er geschrieben. Und ich hoffte es so sehr. So sehr, dass er einfach nach Hause zurück kommen würde. Ganz ohne Umschweife. Einfach zu uns zurück. Das ewige Sorgen, die ständige Angst. All das machte mich fertig. Es belastete mich. Auch wenn ich das nicht wahr haben wollte. Es war so.

„Es ist das Thema, Alex. Was ist wenn Henry zurück kommt und ihm genau das selbe passiert? Was ist wenn er PTBS bekommt und dann nie wieder hier ankommen kann? Was ist wenn er hier kaputt geht? Was ist wenn er erst gar nicht zurück kommt?", redete ich mich in Rage. „Hey, hey, Stopp! Atmen nicht vergessen. Du hast Angst, das weiß ich. Aber mach dir keine Sorgen. Du hast doch mit ihm gesprochen. Er wird kommen. Und es wird mit Sicherheit nicht mehr allzu lange dauern. Vertrau darauf. Er möchte genauso sehr zurück kehren, wie du ihn hier haben möchtest.", er strich mir über die Wange. „Er ist dein Bruder, er liebt und misst dich. Also wird er auch alles daran setzen wieder hier her zu kommen. Du musst darauf vertrauen.", seine Worte waren so berührend, dass es weh tat. Er hatte Recht. Ich musste darauf vertrauen das er zurück kommen würde. Ich tat es. Ich wusste, dass er kommen würde. Ich tat es, weil es mir half, es half die Ängste ein wenig zu mildern.
Doch da wusste ich noch nicht, dass all das hoffen umsonst gewesen war. Dass die Wahrheit mir das Herz brechen würde.

Die Zeit strich von dannen. Es war eine Woche später. Ich schrieb mit Henry und seine Aussagen waren immer noch genauso schwammig. Es wurde nicht besser. Das war etwas was mich so sehr aufregte. Wenn ich wüsste wann genau er kommen würde, wäre ich nicht so angespannt. Wäre nicht die ganze Zeit so voller Sorge. Doch ich wusste es nicht. Ich hatte absolut keine Ahnung wann er kommen würde. Die einzige Zeitspanne die ich hatte war „noch diesen Monat". Dieser Monat war noch lang. Wir hatten November, Donnerstag den siebten November 2019. Es war bereits Nachmittag, gegen halb sechs. Es dämmerte draußen. Da klingelte mein Handy. Das Display zeigte mir, dass Tommy anrief.
„Ja?"
„Toni du musst ins Krankenhaus kommen. In die Uniklinik. Am besten so schnell wie möglich.", waren seine Worte.
„Was ist passiert?"
„Komm einfach her, bitte.", ich nickte langsam. Sagte ihm, dass ich gleich losfahren würde und legte auf.
Ich rannte beinahe runter und sprang ins Auto. Dann machte ich mich auf den Weg zur Uniklinik.

Dort angekommen führte mich mein Weg in die Notaufnahme, weil dies am logischsten war, sonst hätte er mir ja eine Station gesagt wo ich hin muss. Im Wartebereich des Krankenhauses saßen viele Menschen, sehr viele. Ich entdeckte am Rand Tommy. Ich lief zu ihm und quetschte mich neben ihn. „Was ist passiert?", er sah nach unten und schüttelte langsam den Kopf. „Tommy, was ist passiert?", fragte ich mit mehr Nachdruck. „Henry... er ist hier. In Deutschland. In Köln." „Im Krankenhaus? Hier?", ein nicken folgte. Er war hier.

Die Erkenntnis traf mich und ich sank auf meinem Stuhl zusammen. Henry war in Deutschland. In einem Krankenhaus. Es war das passiert vor dem ich immer Angst hatte. Er hatte sich verletzt und kam nach Hause, nur weil er verletzt war.

Es begann ein ewiges Warten. Ich hatte keine Ahnung wo genau er in diesem Krankenhaus war, aus Tommy bekam ich heraus, dass er bei irgendeiner Untersuchung war. Ich lehnte mich an ihn und strich über seinen Rücken. Und so warteten wir. Es betraf Tommy sehr, dass er verletzt war. Er hatte immer zu Henry aufgesehen. Von ihm alles gelernt was ein großer Bruder einem eben beibringt. Sie hatten zusammen seinen ersten Crush und seinen ersten Liebeskummer durchgemacht. Sie hatten gemeinsam gelacht und geweint. Gefeiert und getrauert. Sie haben zusammen scheiße gebaut und dann den Ärger dafür bekommen. Doch sie hielten zusammen. Als Brüder, als beste Freunde.

Henry bedeutete für mich auch sehr viel. Er hatte mich aufgenommen, nachdem unsere Eltern gestorben waren. Er hatte für mich gesorgt. Er hatte mich vor Jungs beschützt, hatte mich wie eine Prinzessin fühlen lassen. Er hatte mir für Rat und Tat beigestanden. Er war immer da.

New Life - Ein Neuanfang (ASDS)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt