Kapitel 90

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POV Toni:


Ich fühlte mich verantwortlich und trommelte alle noch mal zusammen. Ich redete mit ihnen, noch mal hab über das, was sie gesehen oder auch nicht gesehen hatten.

„Wie viel habt ihr gesehen? Und habt ihr Fragen?", so richtig wusste ich nicht, wie ich anfangen sollte. „Also ich für meinen Teil hab nur eine Blutlache gesehen. Aber von Franco wissen wir ja, dass es ein ermordeter Mann war.", ich nickte. „Da kann ich Karin nur zustimmen. Wärt ihr nicht als Erstes rein, hätten wir wohl auch mehr gesehen. Aber ich glaube, das ist besser so oder?", stimmte Flo mit ein. „Ich denke schon. Naja ich hab mit Leichen ja schon was länger zu tun. Aber das war wirklich schon eklig. Und kreativ. Ich hab Mal ein Praktikum gemacht bei einem Pathologen und der war auch für Mordfälle zuständig. Nicht Mal da war so was dabei.", ich schweife ein wenig vom Thema ab. „Achso jetzt weiß ich wieso du einfach so da hocktest und dem Gerichtsmediziner so ohne Probleme geholfen hast. Und auch noch alles so explizit wusstest.", ich nickte. Da hat Franco schon recht. Ich kenne mich tatsächlich damit aus.

„Aber es ist trotzdem immer noch erschreckend wie grausam Menschen sein Können!", Franco sprach exakt das, aus was ich dachte. Ich stimmte ihm zu. So konnten wir alle dann wieder in den Aufenthaltsraum zurück. „Ich hab schon gehört, war ein Scheiß Fall. Wie gehts dir?", fragte Oli und der neben mir saß. „Geht so. Es ist schon echt strange gewesen. Ich meine das Herz, die Zunge, das Gesicht und ein Fuß haben gefehlt. Die wurden mitgenommen, soweit ich weiß. Oder sie sind noch irgendwo in der Wohnung ...", antwortete ich ihm ehrlich. „Das Gesicht?", fragte er. „Gehäutet. Ich denke, ich sehe sein Gesicht noch ewig in meinen Gedanken ....", murrte ich und es schüttelte mich bei diesem Gedanken. Er strich mir über den Arm. Und zog mich weiter zu sich. Er ist schon irgendwo wie ein liebevoller Vater.

Doch zum Glück bekamen wir nicht noch einen Einsatz und wir konnten wieder nach Hause. Auf der Fahrt herrschte Schweigen und wir vielen einfach ins Bett. Einschlafen konnte ich erst mal nicht, doch nach gefühlten Stunden ging es auch Mal.

Am Nachmittag fing mich Oli dann ab und zusammen mit Franco brachte er uns ins Arztzimmer. Er wollte mit uns noch mal über heute Nacht reden.
„So wie gehts euch?" „Es ist ne Leiche. Ja, aber nicht mehr und nicht weniger.", murrte ich. Franco stimmte dem zu. „Uns gehts gut, wirklich.", versicherte Franco ihm. Er ließ uns dann in Ruhe und es gab Essen.

Abends lag ich mit Alex oben. Schon komisch die ganze Situation. Ich dachte über den Fall nach. Wer ist er? Warum? Was passiert jetzt? Sehr komisch alles. Alex merkte wohl, dass ich nicht wirklich gut drauf war. Er zog mich näher zu sich. „Worüber denkst du nach?", seine Stimme war sanft und weich. „Ach der Fall ist komisch. Also klar man hat nicht jeden Tag eine Leiche, beziehungsweise jemand, der tot ist und du nichts mehr tun kannst. Also klar gehört das irgendwo mit dazu, aber meistens sind die natürlich gestorben oder durch Unfälle und so weiter. Aber er, er wurde ermordet. Umgebracht. Abgeschlachtet. Gehäutet." „Hör auf!", unterbrach mich Alex. „Du machst dich nur selbst verrückt.", ich nickte. Ja eigentlich hat er ja recht. Trotzdem. Man kann nicht einfach so alles abschalten. Ich bin auch nur ein Mensch. Und der Fall ganz und gar nicht normal oder einfach. Auch wenn wir nichts zu tun hatten, außer auf die Spusi und Gerichtsmedizin zu warten. Doch er hat sich in mein Gehirn gebrannt. Sein Gesicht. Die Augen, die so aufgerissen nach oben starren. Die braunen Haare die mich irgendwo an Michael erinnern. Der aufgerissene Mund. Die abgeschnittene Zunge. Die aufgeschlitzte Kehle. All das.
„Denk nicht daran!", förderte Alex mich aus meinen Gedanken. Wieder nickte ich. Doch das ich die Gedanken nicht abstellen konnte war mir klar. Und so dachte ich trotzdem unweigerlich an den Mann.

****

Ein paar Tage später hatte ich endlich wieder Mal auf Station Dienst.

Ich kam umgezogen auf die Station und sah Freddy schon von Weitem. Die zurückgegelten Haare, die Gold-schwarze Brille, der immerzue Kittel ... Man erkennt ihn eben schon von Weitem. Es ist ein komisches, aber gutes Gefühl wieder einen Arzt Kittel zu tragen. Gleich zu Anfang kam ein Pärchen, welches einen Beratungstermin bei mir hat. Dabei gehts um den Mann, der einen großen Hirntumor hat. Nach dem Gespräch schickte ich ihn in die Radiologie für neue aktuellere Bilder. Als ich zurück zur Schwesternkanzel kam, wurde mir auf meine Frage, ob irgendwas anders ist mitgeteilt: „Wir haben einen neuen Patienten mit Steißbein Fraktur und stumpfen Bauchtrauma. Freddy ist da dran und die Polizei ist auch hier. Die klären das, aber so genau hab ich das auch nicht mitbekommen. Und wir können nicht ins Schwesternzimmer. Da sind sie nämlich drin...", erklärte Steffi und seufzte. „Also doch kein Kaffee ...", murrte ich und setzte mich auf einen der Stühle.
Ich wollte gerade anfangen, Berichte zu schreiben, als die Tür aufging. Robin, Marc, ein Mann und eine Frau kamen hinaus. Zum Schluss Freddy. Letzterer zeigte ihnen wohl, wo der Wartebereich ist, und stellte sich vorne an die Kanzel.

Kurz später kam Leandra wieder. Sie hatte zwei Umschläge in der Hand. „Hier eure Bilder.", sie drückte uns jeweils einen Umschlag in die Hand. „Die Radiologie hat wohl schon drauf geguckt, waren ein bisschen erstaunt und haben es sofort her gebracht ...", hing sie ran. „Danke ...", meinte ich, nahm die Bilder. Ich holte die Bilder raus und hielt sie hoch. Oh wow ... Das ist ein sehr großer Tumor. Leandra drehte sich um und sah die Bilder. „Oh ...", war ihre erste Reaktion. Ich nickte und setzte mich wieder hin. „Jetzt muss ich nur eine Möglichkeit finden, das Ding hier raus zu holen.", seufzte ich und stand doch wieder auf.

Verabschiedete mich und ging wieder Richtung mein Arztzimmer. Ich überlegte die ganz Zeit, aber nichts klappte. Seufzend räumte ich das Zeug zusammen und ging wieder Richtung Schwesternkanzel.

„Und ein Weg gefunden?", fragte Steffi. „Nein, zumindest nicht zu hundert Prozent sicher. Entweder Sehnerv, Stammhirn, Hörnerv oder er wird gaga danach, wenn er es überlebt ... Sind sie wieder drin oder komme ich an Kaffee?", fragte ich sie. Mit der Hoffnung das sie nicht da drin sind. „Du hast Glück, sie sind Grad net drin.", überbrachte mir Steffi die glückliche Nachricht. Meine Augen strahlten und ich grinste. „Gut, wenigstens Kaffee ...", murmelte ich und war schon an der Maschine. Als ich meinen Kaffee hatte, setzte ich mich an den Tisch und starrte auf die Bilder vor mir. Hing sie auf, drehte sie und dann kam mir die Idee! Nein doch nicht. Auch die würde tödlich verlaufen.

New Life - Ein Neuanfang (ASDS)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt