Kapitel 10 - Der Kuss des Dementors

370 13 0
                                    

Hermine rührte geistesabwesend in ihrem Tee. Der zarte Metalllöffel schlug leicht klirrend an das feine Porzellan. Emotionslos beobachtete sie, wie die Milch mit der dunklen Flüssigkeit verwirbelt wurde. Ihr Kinn mit ihrer Hand gestützt hielt sie sich nur schwer über dem kleinen Tisch, der ihr Wohnzimmer zierte. Regen prasselte monoton gegen das Fenster. Sie seufzte und starrte weiter auf ihren Tee. Sie fühlte nichts. So sehr sie sich auch bemühte, aber sie fühlte nichts. Weder Hass noch Schmerz, keine Freude, keine Liebe. Einfach nichts. Unachtsam hob sie die Tasse zu ihrem Mund, verschüttete ein wenig. ‚Mist', dachte sie sich - doch eigentlich war es ihr egal. Die Laute des Regens an der Fensterscheibe wurden plötzlich durch ein lautes Klingeln übertönt. Genervt gab sich Hermine einen Ruck, erhob sich vom Stuhl und schleifte sich zu ihrem Telefonapparat. Es klingelte nun schon seit einer Stunde im zehn Minuten Takt. Sie nahm den Hörer ab und warf ein unmotiviertes „Granger" in die Leitung. „Hermine! Na endlich... Hast du zu tun? Wir machen uns Sorgen", entgegnete der Anrufer. Die Stimme war ihr bekannt, sehr bekannt. Ihre Jahre als unzertrennliches Trio waren zwar längst vorüber, aber Harry Potters Stimme würde sie auch noch nach Jahrzehnten erkennen können. „Harry, es tut mir Leid. Ich bin wirklich sehr... beschäftigt." Es quälte sie, ihn anzulügen, doch sie wollte nicht, dass er von ihrem Zustand erfuhr. Er würde es sowieso nicht verstehen. „Bist du sicher, Hermine? Willst du reden?" „Harry, wirklich, ich danke dir... aber ich bin aktuell nicht in der Stimmung für lange Gespräche. Ich hoffe, du verstehst das." Sie fühlte sich miserabel. Ihre Arbeit im Ministerium war hinfällig, ihre Selbstsicherheit verschwunden und nun belog sie ihre Freunde. Nach einem kurzen Schweigen setzte Harry wieder an: „Seamus hat mir erzählt, dass er dich letztens gesehen hätte. Bei Flourish und Blotts." Hermine schluckte. „Achja? Warum ist er nicht zu mir gekommen? Ich habe ihn gar nicht gesehen". Harry zögerte und Hermine fürchtete sich vor der Antwort. „Er sagte du seist mit Lucius Malfoy dort gewesen". Hermine zögerte. Was sollte sie nun antworten? „Hermine?", hakte er nach. „Ja... nein. Nein, ich war nicht mit ihm da", sie lachte nervös und etwas gekünstelt, „ich habe ihn dort nur getroffen. Du weißt, ähm, er arbeitet ja auch im Ministerium und... da wäre es unhöflich gewesen, ihn abzuweisen." Harry pausierte einen Augenblick, räusperte sich und entgegnete: „Du musst dich nicht rechtfertigen. Ich war nur neugierig." Wieder kehrte eine Stille ein. Hermine wippte ungeduldig von dem einen auf das andere Bein. Sie biss sich auf die Lippe. „Es ist nur... wenn irgendetwas ist, wenn er dich bedroht oder die Arbeit zu viel für dich ist... dann erzähl es uns." Sie erstarrte. Warum wusste Harry immer, was in ihr vorging? Sie zwang sich zu einem weiteren Lachen und versicherte ihm, dass alles in Ordnung sei. ‚Erzähl es ihm', rief ihr Verstand. „Gut, Hermine, dann...", sprach er. „Es ist...", sie stockte als Harry und sie zur selben Zeit zu sprechen begannen. Sie beschloss, es herunterzuschlucken. Sie hatte doch alles im Griff. Sie war Hermine Granger, selbstbewusst und tüchtig, eine Gryffindor! „Machs gut, Harry. Danke für deinen Anruf", sprach sie sanft und beendete das Gespräch.

Am Abend versank sie sich früh in den warmen Hüllen ihres Bettes. Doch es war nicht warm, im Gegenteil, es war kalt und leer. Einzelne Tränen flossen über ihre rosigen Wangen. Sie war inhaltslos, perspektivlos. Ob sich so der Kuss eines Dementors anfühlte? Nun lag sie dort, ihr tristes Leben an ihr vorbeiziehend, mit dem Bauch zur Matratze gewendet, ihre Hand zur leeren Seite des Bettes reichend. Sie sehnte sich nach Wärme und Geborgenheit. Sie sehnte sich nach ihm. Ihre Hand strich langsam über das Bettlaken. ‚Wird er morgen noch da sein?', durchzog es ihre Gedanken, ‚werde ich morgen noch da sein?' Sie drehte sich um, starrte an die Decke. Ihre Tränensäcke waren dick und geschwollen, ihre Augen rot unterlaufen und ihr Mund ganz blass. Die Wand über ihr war fahl und langweilig. Monoton. Einsam. Kalt. Sie presste die Augen zusammen. Die Welt um ihr verschwamm zu einem einheitlichen grauen Fleck. Die Wände schienen sie zu erdrücken. Wieder schloss sie die Augen. ‚Denk an ihn', riefen ihre Gedanken, ‚er wird dir helfen. Er wird dich retten.' Langsam bewegte sie ihre Hand unter der Bettdecke an ihrem Körper entlang. ‚Spür die Wärme'. Ihre Finger stoppten über ihrem Schambereich. Sie fühlte die Bewegung ihrer eigenen Hand durch das seidene Negligé, das ihren Körper bedeckte. Der feine Stoff glitt über ihre Haut. Ganz zart strich sie über ihre Vulva, kitzelte ihre Schamlippen. In ihrem Kopf war er es, der sie berührte. Der herb-würzige Geruch seines Parfums drang in ihre Nase empor. Er schien über ihr zu schweben, sie auf magische Art und Weise zu berühren, sie zu wärmen - nur für einen Moment. Sie öffnete ihre Augen, starrte wieder auf die leere Decke, die auf sie herabzustürzen schien. Ihre Hand schnellte zurück zur Bettseite neben ihr. Sie strich abermals über das Bettlaken. Sie war allein, so allein. Der kalte Kuss der Dementoren ereilte sie und die Leere füllte ihren Körper, ihre Gedanken aus.

Es ist kalt, wir müssen weg hier, komm
Dein Lippenstift ist verwischt
Du hast ihn gekauft und ich habe es gesehen
Zu viel rot auf deinen Lippen, und du hast gesagt
"Mach mich nicht an"

Aber du warst durchschaut, Augen sagen mehr als Worte
Du brauchst mich doch, hmh?
Alle wissen, dass wir zusammen sind ab heute

Jetzt hör' ich sie, sie kommen
Sie kommen dich zu holen
Sie werden dich nicht finden
Niemand wird dich finden, du bist bei mir

(Songtext von Falco, 1985, Jeanny © Warner/chappell Music Holland B.v., Rolf Budde Musikverlag Gmbh)

Ministry MaidWo Geschichten leben. Entdecke jetzt