Kapitel 16 - Ich bin Hermine Granger

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Hermine räkelte sich, streckte ihre Arme in die Höhe und gähnte laut. Ein Blick auf die kleine Uhr auf ihrem Nachttisch verriet ihr, dass der Morgen beinahe vorbei wäre. Es war lange her, dass sie so lange geschlafen hatte. Normalerweise stand sie stets in den frühen Morgenstunden auf und startete motiviert in den Tag. Doch sie gönnte sich das lange Ausspannen in den warmen Hüllen ihrer Bettdecken. Immerhin war ihr Körper wohl geschwächt von den Strapazen des vergangenen Tages. Das redete sie sich zumindest ein. Eigentlich war sie hellwach und voller Energie und so entschied sie sich, nicht länger liegen zu bleiben. Sie riss die Vorhänge der Fenster mit einem kräftigen Ruck zur Seite und wurde prompt von hellen Sonnenstrahlen geblendet. Es war ein wunderschöner Samstagvormittag. Sie warf sich in ihren seidenen, bodenlangen Morgenmantel und setzte einen Kaffee auf. Während das heiße Wasser durch den Filter lief und das braune Pulver sein herbes Aroma in die Luft verströmte, griff sie zum Telefon. Den Hörer zwischen Kopf und Schulter geklemmt, lief sie durch die Wohnung, um sich frische Wäsche aus dem Schrank zu suchen. „Ginny? Hey... Hermine hier", sprach sie nach einigen Sekunden Wartezeit. „Ja, es tut mir Leid, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe... Ja, es ist alles in Ordnung", versicherte sie ihrer Freundin, während sie sich ein pastellgelbes Sommerkleid vor den Körper hielt, „Ich wollte nur fragen, ob du Lust auf ein Frühstück hast?" Hermine lief zum Spiegel, betrachtete sich und das Kleid und entschied, es anzuziehen. „Kein Problem, Ginny, ich versteh das. Dann macht euch einen schönen Tag... Ja, bis dann". Ginny würde sie nicht zum Frühstück begleiten, aber das machte Hermine nichts. Heute war sie glücklich und ihr Glück war nicht von ihrer Begleitung abhängig. Sie zog sich frische Unterwäsche an, warf das Kleid über ihren Leib und trank einen Schluck des frisch gebrühten Kaffees. Leichtfüßig bahnte sie ihren Weg in die Winkelgasse. Eine frische Sommerbrise wehte durch ihre Haarsträhnen, ihre Haut wurde durch die fröhliche Sonne gebräunt. An einem kleinen Stand am Rande der Gasse - eine ältere Frau hatte hier frische Backwaren auf einem alten Holzwagen aufgereiht - erwarb sie eine Kürbispastete, die ihr Frühstück darstellen sollte. Nun schlenderte in Richtung Flourish und Blotts, um ihre tägliche Neugier zu stillen. Der gemütliche Buchladen, der quasi ihr zweites Zuhause darstellte, war wieder gut besucht. Immerhin war es ein Samstag und das Wetter war so gut wie lange nicht mehr. Die Hektik um sie herum störte sie aber nicht, im Gegenteil: Sie freute sich über das entzückte Kinderlachen, die scherzenden Schulfreunde oder das verliebte Pärchen neben ihr. Und nun freute sie sich vor allem auf die zahlreichen Bücher, die sie im Verlauf des Mittags durchstöbern wollte. Hermine verzog sich in einen etwas dunkleren Gang im hinteren Bereich des Ladens. Hier verirrten sich meistens nur einzelne Zauberer hin. „Flüche aller Art", „Flüche des 18. Jahrhunderts", flüsterte sie vor sich hin während sie über die dunklen Buchrücken fuhr. Ihr Finger glitten weiter nach rechts. Nun war sie beim Buchstaben „G" angelangt und fand schnell, wonach ihr gesinnt war. Sie rupfte das Buch aus dem Regal, strich mit der flachen Hand vorsichtig über das Buchcover, das aus einem schlichten braunen Ledereinband bestand und von den goldenen Buchstaben, die das Wort „Gift - Ein historischer Überblick", geziert wurde. Ohne den Einband weiter zu betrachten, schlug sie das Buch auf und blätterte bis zum Index vor. Ihr Zeigefinger glitt zum Buchstaben „G" und fuhr die Auflistung herunter. Sie stockte bei dem Begriff „Giftring" und schmunzelte über ihren Erfolg. Ohne zu Zögern schlug sie die passende Seite auf und fand eine zweiseitige Beschreibung, ergänzt durch das Bild eines prunkvoll gestalten Rings, der laut der Unterschrift von einem Onyx geziert war. Der schwarze Stein wirkte fast bedrohlich. Hermine ließ sich auf einem Hocker, der im Gang stand, um Bücher zu erreichen, die weiter oben im Regal standen, nieder. Das aufgeschlagene Buch lag in ihrem Schoß. Sie begann zu lesen: „Giftring - Ein Schmuckstück, das um den Finger getragen wird. Meist geziert von einem großen Edelstein (etwa Onyx, Karneol oder Jaspis), enthalten sogenannte Giftringe darunter eine kleine Kammer, die durch das Anheben des Edelsteines zugänglich gemacht wird. Diese Kammer diente zur Aufbewahrung von kleinen Gegenständen oder Flüssigkeiten - wie der Name verrät, aber meistens von Giften. Überlieferungen belegen, dass Giftringe bereits seit der frühen Antike fabriziert wurden. Populär wurde dieses Schmuckstück allerdings erst zwischen dem 15. und 16. Jahrhundert. Giftringe waren Adelsfamilien vorbehalten und in gesellschaftlich höher gestellten Rängen verbreitet. Noch heute finden sich die Reliquien dieser Zeit im Besitz von reinblütigen Zaubererfamilien." Hermine war tief in den Zeilen und der Vorstellung, die sie ihr vermittelten, vertieft. Obwohl sie eher schockiert über den gestrigen Vorfall sein sollte (sie hätte immerhin sterben können), war sie doch eher fasziniert. Sie war stets fasziniert von neuem Wissen, ihr Kopf sog es auf wie ein Schwamm und klammerte sich daran fest. So stöberte sie noch stundenlang in diesen düsteren Büchern. Sie war fasziniert von der Welt der Zauberei und auch, sie gab es nur ungern zu, von reinblütigen Familien. Sie hatte schon immer das Gefühl, dass sie einiges verpasst hatte, weil sie bei Muggeln aufgewachsen war. Nur Muggel. Sie bereute den Gedanken und ein unbehagliches Gefühl machte sich in ihr breit - sie liebte ihre Eltern und war ihnen so dankbar. Aber sie würde alles dafür geben, sich die Zaubererwelt nicht nur durch Bücher erschließen zu müssen. Und doch fand sie großen Gefallen daran, zum Dank ihrer neugierigen Natur. Es war bereits Nachmittag geworden als sie endlich das letzte Buch durchblättert hatte - sie pflegte es, einen riesigen Bücherstapel an gesuchter Literatur zusammenzulegen und diesen genüsslich abzuarbeiten - und letztlich zu ihrer Wohnung zurückkehren konnte. Erschöpft, aber doch fröhlich erheitert, ließ sie sich auf das Sofa fallen. Ein Blick schweifte zu ihrem Wandkalender. Sie schmunzelte, weil sie sich nicht von diesen simplen Muggelgegenständen trennen wollte. Doch neben der emotionalen Komponente erfüllte ihr Kalender auch einen praktischen Zweck: Schon fast vergessen war die wöchentliche Konferenz, die bereits übermorgen stattfinden würde. Entschlossen einigte sie sich darauf, nun endlich eine beeindruckende Rede zu formulieren. Die letzten Wochen waren eine reine Enttäuschung - sie war enttäuscht von ihrem mangelnden Engagement, ihrem fehlenden Selbstbewusstsein und der Tatsache, dass sie sich von Malfoy hatte ablenken lassen. Was fand sie überhaupt an ihm? Er war ein manipulatives, rückständiges Arschloch, das einer von Inzucht geplagten Familie entsprang, die viel zu viel von sich hielt. Kopfschüttelnd ekelte sie sich davor, was sie mit diesem Mann angestellt hatte. Nun aber wollte sie sich auf ihre Rückkehr vorbereiten. Sie musste wieder zeigen, wer sie war - Hermine Granger. Zielstrebig, selbstbewusst, reformierend. Sie würde es allen zeigen.

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