E I N U N D D R E I S S I G

867 62 11
                                    

„Meine Güte, Maylea, das macht mich wahnsinnig!" Sue drehte sich mit vorwurfsvollem Blick zu mir um, einen großen Topf in der Hand, den sie auf dem gedeckten Esstisch abstellte. „Was ist denn los mit dir?"

Ich biss mir auf die Unterlippe und schloss meine Hände zu Fäusten, um keinen unruhigen Takt mehr mit meinen Fingern auf der Tischplatte zu klopfen. „Was soll sein?"

„Wenn ich das wüsste, würde ich nicht fragen." Mit hochgezogenen Augenbrauen bedachte sie mich so lange, bis ich ihrem Blick ausweichen musste. Es fiel mir schon unglaublich schwer, überhaupt still auf meinem Stuhl sitzen zu bleiben, weil ich nicht schaffte mir einzureden, dass der Mann beim Motel nicht mein Vater gewesen war. Die Besorgnis meiner Tante machte es nicht leichter und ich wusste nicht, ob ich sie an meinem Verdacht teilhaben lassen sollte oder ob das nur unnötige Unruhe auslösen würde.

„Ich hab nur einen Ohrwurm", erklärte ich mein Fingergeklopfe lahm.

„Scheint einen komischen Rhythmus zu haben, dieses Lied."

Ich öffnete gerade den Mund, um Sue doch zu fragen, für wie wahrscheinlich sie es hielt, dass mein Vater hier war, als im Flur die Eingangstür aufgestoßen wurde und Steves unbeschwertes Gebrabbel das Haus erfüllte, gefolgt von Joes lautem Lachen.

Sue wandte sich wieder dem gekochten Abendessen zu, während ich lauschte, wie die Männer ihre Arbeitsstiefel sorgsam auf der Fußmatte abtraten und kurz darauf nacheinander in die Küche traten, allen voran Aussie, der sich sofort auf seinen bereits gefüllten Futternapf in einer Ecke stürzte.

Mein Herz setzte einen Takt aus, als Nate als letzter im Türrahmen erschien. Seine breiten Schultern und die muskulösen Arme erschienen mir in dem kleinen Raum auf einmal noch kräftiger.

Bevor er meinem Blick begegnen konnte, senkten ich den Blick auf den Tisch und tat so, als würde seine Anwesenheit mich nicht im Geringsten jucken, während in Wahrheit meine Handflächen schwitzig wurden und mein Herz im erhöhten Tempo schlug.

„Es riecht köstlich", seufzte Steve und ließ sich auf den nächstbesten Stuhl sinken, während Joe Sue mit einem Kuss auf die Wange begrüßte.

Sie scheuchte ihn mit ihrem Geschirrhandtuch weg, als er versuchte einen Blick in den verbliebenen Topf auf dem Herd zu erhaschen. „Lass mich meine Arbeit machen und setz dich hin. Du stehst hier nur im Weg."

Mit erhobenen Händen und einem breiten Grinsen leistete Joe ihrem Befehl folge. Er ließ sich auf den Stuhl neben mir sinken und knuffte mich mit seinem Ellbogen in die Seite. Ein Schwall von Schweißgeruch und Kuhmist stieg mir in die Nase.

„Bah, du stinkst", maulte ich und rückte so weit der Tisch es mir erlaubt von ihm weg. Leider waren nicht mehr als zehn Zentimeter drin.

„Das kann man von dir Faulpelz nicht behaupten."

„Tja." Ich zuckte matt die Achseln und verschränkte meine Arme vor der Brust. Ich war gerade nicht zu Scherzen aufgelegte, und als Nate sich mir gegenüber niederließ, wollte ich einfach nur fliehen. Jetzt konnte ich noch nicht einmal mehr geradeaus gucken. Als wäre es nicht so schon schwer genug, ihm nicht in die Augen zu sehen. Aus Reflex zog ich meine Füße unter meinen Stuhl, damit sie seine nicht aus Versehen streifen konnten.

Sue stellte den zweiten Topf auf dem Tisch und als sie den Ofen öffnete und einen Braten hervorzauberte, ging ein Raunen durch die Runde. Es war ein Wunder, dass niemand zu sabbern begann, als auch er seinen Weg auf den Tisch fand. Sue legte ein scharfes Messer daneben und setzte sich. „Greift zu, Jungs."

Das ließen sie sich nicht zweimal sagen. Joe nahm sich des Bratens an und schnitt gekonnt Scheiben von ihm ab, während ausgerechnet Nate jedem Kartoffeln und Gemüse aus den Töpfen auffüllte. Ich hoffte, dass er mich einfach außenvor lassen würde, aber leider war er dazu zu wohlerzogen. Oder wollte so vor Sue und Joe wirken.

BackroadsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt