N E U N U N D Z W A N Z I G

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Ganz langsam krochen die Schmerzen in meinem Hals in mein Bewusstsein, die Trockenheit in meinem Mund, gefolgt von dem dringenden Verlangen nach Wasser. Es dauerte eine geraume Weile, bis ich es schaffte, die Müdigkeit so weit beiseite zu schieben, dass ich schwerfällig meine Augen öffnen konnte.

Die Welt präsentierte sich mir verschwommen, als sei ich unter Wasser, und ich musste einige Male blinzeln, doch auch, als ich einigermaßen scharf sah, fehlte mir jegliche Orientierung.

Das war nicht mein Zimmer. Nicht mein Doppelbett mit meiner kuschligen Bettwäsche in Kansas City. Das war auch nicht das mickrige Einzelbett in dem Zimmer unterm Dach bei Sue und Joe, in dem sich tagsüber sowie nachts die Hitze staute. Ich lag auf etwas noch Schmalerem, etwas, das sich kratzig unter meiner nackten Haut anfühlte. In einem Anflug von Panik setzte ich mich auf und stöhne. Mein Kopf fühlte sich an, als würde er platzen. Intuitiv hob ich eine Hand an meine Schläfe und rieb mir mit den Fingern darüber, bevor ich mich in dem Raum umsah.

Es sah nach einem Wohnzimmer aus, wenn auch nach einem ziemlich spärlich eingerichtetem. Außer dem Sofa, auf dessen Kante ich hockte, gab es nur noch einen beigen, abgewetzten Sessel und ein niedriges Tischlein, auf dem sich eine dünne Staubschicht angesammelt hatte. Ein nur zur Hälfte mit Büchern bestücktes Regal stand direkt neben der Tür, lediglich die Vorhänge der Fenster waren feinsäuberlich in altmodischen, ringförmigen Halterungen befestigt, sodass die gleißend helle Sonne unerbittlich ins Zimmer schien.

Ich musste mich von dem Sofa hochraffen, um einen vernünftigen Blick nach draußen werfen zu können. Es dauerte einige Sekunden, bis ich das Grundstück der Farm erkannte und die Vorahnung, die sich schon langsam in mir breitgemacht hatte, bestätigte sich. Das war das Haus, in dem Nate und Steve wohnten.

Angestrengt versuchte ich mich an den gestrigen Abend zu erinnern, aber ab einem gewissen Zeitpunkt schaffte ich es nicht mehr, ihn zu rekonstruieren. Das letzte wirklich prägnante war die Begegnung mit Nate am Zaun der Pferdekoppel, was ich am liebsten sofort wieder abschütteln wollte, doch stattdessen überrollte mich eine heiße Welle der Scham, vor der ich mich am liebsten verkriechen wollte.

Wie war ich hierher gekommen? Hatte Nate mich auf dem Sofa untergebracht? Und wenn ja, warum? Hatte ich mich so abgeschossen, dass er es für besser gehalten hatte, mich Sue und Joe nicht über den Weg laufen zu lassen oder wollte er ein Auge auf mich haben? Aber wo war er dann?

Ein weiteres Mal sah ich mich in dem Raum um, nun jedoch auf der Suche nach Spuren, die mir etwas über die vergangene Nacht verrieten. Aber da war nichts. Lediglich mein Handy entdeckte ich auf den Polstern der Couch und ich griff so hastig danach, als hätte ich Angst, es würde sich vor meinen Augen in Luft auflösen.

Das Display war so dunkel eingestellt, dass ich Schwierigkeiten hatte, es zu entsperren. Als ich einen Blick auf die Uhrzeit warf, nachdem ich die Helligkeit hochgestellt hatte, erschrak ich. Es war schon fast elf Uhr. Wie konnte es sein, dass ich so lange ungestört hatte schlafen können?

Für einen kurzen Moment kroch das ungute Gefühl, das ich seit meiner Rückkehr aus Kansas City andauernd verspürte, in mir hoch, aber ich schob es energisch beiseite. So ein Quatsch, was sollte schob passiert sein? Wenn irgendetwas war, würde ich es schon längst wissen.

Dennoch bekam ich eine Gänsehaut am ganzen Körper und machte mich zu hektisch auf den Weg raus aus dem Haus und rüber zu dem, in das ich eigentlich gehörte. Weg von Nate, dem ich auf gar keinen Fall über den Weg laufen wollte, der trotz meiner ständigen Sorge um Mum in meinem Kopf herumgeisterte und hin zum Telefon, das mir die Versicherung gab, dass es ihr gut ging.

Aber Mum ging nicht an ihr Handy. Es klingelte eine halbe Ewigkeit, bis sich irgendwann die Mailbox meldete. Als nächstes versuchte ich es auf dem Festnetz, wo sie überhaupt nicht erreichbar sein sollte, aber dennoch wartete ich auch hier ungeduldig, bis der Anrufbeantworter ansprang. Frustriert legte ich auf, balancierte in meiner anderen Hand mein Handy und tippte Olivias Handynummer aus meinen Kontakten ab.

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