V I E R U N D D R E I S S I G

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Die Fenster der Häuser lagen dunkel in der frühen Nacht, als Nate den Pick-Up am Ende der langen Auffahrt auf den Hof lenkte. Der Platz, auf dem der Geländewagen von Joe und Sue immer stand, war leer und die beiden folglich noch im Kino oder ließen den Abend mit ihren Freunden noch ausklingen.

Als Nate den Motor ausstellte und die Scheinwerfer ausschaltete, lief mir ein Schauer über den Rücken. Seit ein paar Tagen fürchtete ich mich vor der Dunkelheit, aber mit dem Wissen, dass mein Vater hier war, traute ich mich kaum, aus dem schützenden Auto auszusteigen.

Obwohl wir uns die gesamte Fahrt über nichts zu sagen gehabt hatten, war ich froh, dass Nate trotzdem genug Anstand hatte, um mir wieder beim Aussteigen zu helfen. Mit ihm direkt neben mir fühlte ich mich ein winziges bisschen sicherer. Ich krallte mich ein bisschen zu fest an ihm fest, bis er mir meine Krücken gab, und ohne seine Wärme neben mir raste mein Herz noch schneller.

„Kannst du... noch mit reinkommen?" Meine Stimme klang unerwartet zittrig, denn die Vorstellung, alleine in das verlassene Haus zu müssen, dessen Tür Sue und Joe mit Sicherheit nicht abgeschlossen hatten, bescherte mir kalte Schweißausbrüche.

„Mache ich", sagte Nate in die stille Nacht hinein und ich atmete erleichtert auf.

Stumm überquerten wir den Schotterboden, wobei ich versuchte mit den dämlichen Krücken so schnell voranzukommen, wie es ging. Ich fühlte mich wie auf dem Präsentierteller und das viel zu laute Knirschen des Kieses unter unseren Schuhsolen machte es unmöglich, andere verdächtige Geräusche in der Umgebung wahrzunehmen. Die Treppen zur Veranda hochzunehmen, war mit den Krücken eine Qual und als ich es endlich geschafft hatte, hielt Nate mir schon die Haustür auf. Ich humpelte an ihm vorbei und erst, als die Tür hinter uns ins Schloss fiel und Nate das Licht einschaltete, entspannte ich mich ein wenig. Aussie erwartete uns mit wedelndem Schwanz im Flur, aber ich hatte meine Hände nicht frei, um ihn streicheln zu können. Als würde er verstehen, was los war, schnüffelte er an meinem bandagierten Fuß, ehe er schnell wieder das Interesse verlor und zurück ins Wohnzimmer trottete, wo er hergekommen war.

„War die abgeschlossen?", fragte ich Nate mit einem Nicken zur Haustür. Er schüttelte den Kopf und sofort war er wieder da. Mein verkrampfter Magen, der mir ein blasses Gesicht zaubern musste, so wie Nate mich ansah.

„Wenn irgendwas wäre, würde Aussie anschlagen", beruhigte er mich, aber beruhigen tat mich das ganz und gar nicht. Ich beugte mich vor, um den im Schoss steckenden Schlüssel umzudrehen.

„Ich will mich nicht auf den Hund verlassen." In Filmen wurden sogar die aggressivsten Exemplare problemlos mit Würstchen ruhiggestellt und ich wollte nicht riskieren, dass dieser Trick in der Realität nicht zog.

„Gut, ich checke einmal alle Räume."

„Danke", murmelte ich. Ich ließ ihn nicht aus den Augen, während er erst den Kopf in den Allzweckraum steckte, dann in die Küche und als letztes ins Wohnzimmer, eher er sich das Obergeschoss vornahm. Mit angehaltenem Atem lauschte ich seinen Schritten, meine Hände um meine Krücken klammernd. Ich erwartete jederzeit irgendwas markerschütterndes zu hören. Ein Knall, laute Worte, Poltern. Als Nate keine Minute später unversehrt am oberen Treppenabsatz wieder auftauchte und Entwarnung gab, pulsierte das Blut trotzdem noch durch meine Adern. Mit langsamen Schritten stieg er die Stufen wieder hinab, ohne den Blick von mir zu nehmen. Direkt vor mit kam er zum Stehen, schob die Hände in seine Hosentaschen und musterte mich kritisch.

„Kann ich dich alleine lassen?"

„Ja, klar, ich komme schon zurecht", antwortete ich zu schnell und zu hektisch.

Nate zog eine Augenbraue in die Höhe. „Sicher?"

Tränen schossen mir so unerwartet in meine Augen, dass ich erschrocken meine Zähne in meine Unterlippe grub, als sie bedrohlich zu zittern begann. Mit aller Macht versuchte ich nicht aufzuschluchzen, weil ich auf keinen Fall alleine in diesem Haus sein wollte.

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