S E C H S U N D Z W A N Z I G

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Song: Move - Luke Bryan

* * *

Ich hätte alles, was mir wichtig war, darauf verwettet, dass Nate mich davon abzuhalten versuchen würde, auf die Feier von Emmas Eltern zu gehen. Deswegen hatte ich heimlich aus dem Fenster geschaut, um sicherzugehen, dass er nicht auf dem Hof war, bevor ich ihn schnellen Schrittes überquerte, um ja nicht aufgehalten und in eine weitere Diskussion verwickelt zu werden. Als ich jedoch bereits die Hälfte der Auffahrt hinter mir hatte und er immer noch nicht aufgetaucht war, wurde ich langsamer.

Ich hatte sogar in Erwägung gezogen, schon mit Sue und Joe zu gehen, die schon vor zwei Stunden aufgebrochen waren, nur, um Nate nach unserem Gespräch nicht noch einmal über den Weg zu laufen, obwohl Emma mir gesteckt hatte, dass vor einundzwanzig Uhr niemand ihrer Freunde auftauchen würde und es bis dahin dementsprechend öde wäre.

Als ich am Ende der Auffahrt war, drehte ich mich sogar um, doch die Schotterpiste lag einsam vor mir. Kein Nate in Sicht. Das schlechte Gewissen, das sich immer wieder in meinem Kopf breitgemacht hatte, seitdem ich ihn im Garten sitzengelassen hatte, flammte erneut auf. Ich hatte mich wie ein Arschloch benommen. Er hatte sich mir anvertraut und alles, was ich getan hatte, war noch mehr Salz in die Wunde zu streuen.

Gleichzeitig wollte ich allerdings nicht einsehen, dass ich mich ihm gegenüber scheiße verhalten hatte. Er war nicht im Recht, mir irgendetwas vorzuschreiben. Niemand war das. Vor allem nicht, wenn man mich in eine Schublade steckte, in die ich nicht gehörte. Und wenn Nate nicht in der Lage war, mir zu glauben und zu vertrauen, dann war das nicht mein Problem, sondern seins.

Das Haargummi festziehend, das meinen Pferdeschwanz zusammenhielt, drehte ich mich um, straffte meine Schultern und nahm den restlichen Weg zu der Ranch von Emmas Eltern in Angriff. Jedes Mal, wenn Nate versuchte sich in meine Gedanken zu schleichen, drängte ich ihn weg. So lange, bis ich auf etwa halber Strecke leise Musik vernahm, in die sich unregelmäßig lautes Lachen oder Stimmengewirr mischte, was sich am Ziel als sehr viel lauter entpuppte, als ich gedacht hatte.

Als ich den weitläufigen Hof der Ranch erreicht, wusste ich nicht, ob ich amüsiert lachen oder die Flucht ergreifen sollte. Abgesehen davon, dass mir unfassbar laute Countrymusik entgegenschallte, irritierte mich das Bild der anwesenden Gäste unfassbar. Ich hatte mit kleinen, miteinander plaudernden Grüppchen von Erwachsenen gerechnet, die über Gott und die Welt tratschten, doch was sich mir hier bot, war ein Abbild von Emmas Freunden in zwanzig bis fünfzig Jahren.

Auf den ersten Blick war ich mir sicher, dass jede einzelne Person betrunken war. Während die Männer, die alle fast ausnahmslos einen Cowboyhut trugen, Faxen machten und lauthals grölten, benahmen sich die Frauen wie vierzehnjährige, unreife Teenager und kicherten am laufenden Band.

„Maylea!"

Mein Blick glitt suchend über die Menge, bis ich Sue nur wenige Meter von mir entfernt entdeckte, die mit ihrem Arm wild in der Luft herumfuchtelte, was wohl einem Winken nahekommen sollte. „Du bist ja doch noch gekommen! Ich dachte schon, du hast es dir anders überlegt."

Mir ein Lächeln aufs Gesicht zwingend trat ich zu ihrem Grüppchen hinzu. Sie streckte ihren Arm nach mir aus, um mich an ihre Seite zu drücken. „Das ist meine Nichte", stellte sie mich stolz vor. Misstrauisch beäugte ich die Bierflasche in ihrer freien Hand und fragte mich, die wievielte es wohl sein mochte, dass sie sich so übertrieben erfreut aufführte. Erst dann wanderte mein Blick in die Runde, ich ließ ein halbherziges Lächeln sehen, mich dabei so unauffällig wie möglich aus Sues Umarmung befreiend.

Ich versuchte gar nicht erst, mir die Namen der sechs Leute zu merken, die sie mir kurz darauf vorstellte. Vermutlich würde ich sowieso nie wieder etwas mit ihnen zu tun haben, geschweige denn, sie je wieder zu Gesicht kriegen Die einzige, die ich aus der Runde noch kannte, war Emmas Mutter Lauren, die mir mitteilte, wie sehr sie sich über mein Kommen freute, woraufhin ich ungeniert mit einer Frage nach Emma reagierte.

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