S I E B Z E H N

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Meine Mutter arbeitete seitdem ich denken konnte als Oberärztin in der Unfallchirurgie. Sie hatte nie das Krankenhaus gewechselt und obwohl ich sie als Kind regelmäßig mit meinem Vater zusammen von der Arbeit abgeholt hatte, wusste ich nicht annähernd, wo sich ihre Station befand.

Ich schrie Nate an, als er einfach in das nächstbeste Parkhaus auf dem riesigen Gelände abbog und wäre beinahe wieder aus dem fahrenden Pick-Up gesprungen, wenn er nicht mich nicht grob am Arm gepackt und gleichzeitig eine Vollbremsung gemacht hätte, um mich davon abzuhalten.

„Spinnst du?", fuhr er mich dermaßen heftig an, dass ich die Tür erschrocken wieder zuzog. „Ich weiß, dass du wissen willst, was mit deiner Mutter ist, aber du kannst doch nicht während der Fahrt die Scheißtür aufmachen! Weißt du, wie gefährlich das ist?"

„Wieso fährst du überhaupt hier rein?", keifte ich zurück. „Du hättest mich an der Notaufnahme rauslassen können!"

Der Pick-Up rollte bereits wieder durch die Enge des Parkhauses. „Und dann? Das wäre grob fahrlässig gewesen! Ich kann doch nicht einfach die Zufahrt der Krankenwagen blockieren!"

„Du hättest mich nur rauslassen müssen", wiederholte ich aufgebracht.

„Auch innerhalb von zehn Sekunden kann da ein Krankenwagen kommen!" Nate betätigte abrupt die Bremse, als eine freie Parklücke zum Vorschein kam. Dieses Mal ließ ich es mir nicht nehmen, die Beifahrertür wieder aufzustoßen. Mein Gurt war bereits gelöst, weshalb ich ohne Probleme von meinem Sitz gleiten konnte. Nate stieß schon wieder irgendwelche Flüche aus, doch ich knallte die Tür einfach zu, bevor ich loslief. Ich hielt gar nicht erst nach einem Treppenhaus für Passanten aus, sondern rannte den Weg, den wir gekommen waren, einfach zurück. Jeder meiner Schritte hallte in dem Betonbau wider, als ich auf die schräge Auffahrt zu diesem Parkdeck zusteuerte. Ungebremst schlitterte ich sie hinab. Ein falscher Tritt und ich würde so heftig hinfallen, dass ich mir sämtliche Körperteile auf dem groben Asphalt aufschürfen würde. Ich sah ein Auto um die Ecke biegen, irgendeinen schwarzen, glänzenden Neuwagen, doch ich schaffte es nicht, auszuweichen. Mit voller Wucht knallte ich gegen die Stoßstange, musste mich mit den Händen haltsuchend auf der Motorhaube abstützen, die kochend heiß vom Sonnenschein war. Mit einer kurzen Verzögerung breitete sich der Schmerz in meinen Schienbeinen aus. Ich sah in das geschockte Gesicht eines älteren Mannes, konnte mich für einige Sekunden, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten, nicht regen. Erst, als der Mann sich abschnallte und seine Tür aufstieß, ließ ich von dem glühenden Material ab.

„Meine Güte, geht es dir gut?", erkundigte der Mann sichtlich geschockt, doch mehr als ein halbherziges „Ja" hatte ich nicht für ihn über. Meine Beine taten höllisch weh, als ich um das Auto herum lief. Ich wollte weiter rennen, aber es tat zu sehr weh. In einer Mischung aus Gehen und joggen humpelte ich an all den parkenden Autos vorbei, eisern meine Lippen zusammenpressend und das Gefühl ignorierend, dass meine Beine jederzeit wegknicken würden.

Nate holte mich kurz vor der breiten Tür zur Notaufnahme ein, wo ich mich schon gewaltig zusammenreißen musste, um vor Schmerzen nicht schon wieder in Tränen auszubrechen.

„Sag mal, wurdest du gerade angefahren?", brachte er heraus, versuchte, sich mir in den Weg zu stellen und mich anzuhalten, doch ich wich ihm ohne jeglichen Blickkontakt aus.

„Maylea!"

„Und selbst wenn, ich lebe noch", zischte ich und humpelte durch die sich automatisch öffnende Tür. Sofort stieg mir der sterile Krankenhausgeruch in die Nase. Ich hatte ihn schon immer gehasst, doch heute schenkte ich ihm keine weitere Beachtung. Ohne zu Zögern strebte ich den Empfangstresen an, vor dem sich eine kleine Schlange befand. Nate war aus meinem Sichtfeld verschwunden, obwohl er eben noch wie eine lästige Klette an mir geklebt hatte und ich war froh darüber, dass er mich nicht davon abhielt, rücksichtslos an den wartenden Leuten vorbei zu laufen. Ich wusste nicht, wieso er so plötzlich stehen geblieben war, kaum dass er mir durch die Tür gefolgt war, aber im Moment war es mir sowieso vollkommen gleichgültig.

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