E P I L O G

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Mit so viel Schwung wie ich konnte riss ich meinen Arm in die Luft und schleuderte den Absolventenhut jubelnd in den strahlendblauen Himmel. Für einige Sekunden sah ich dem Spektakel mit in den Nacken gelegtem Kopf zu, dann war dieser magische Moment, auf den ich die letzten Monate hingefiebert hatte, viel zu schnell wieder vorbei. Die Hüte prasselten zurück auf die Erde und alle schnappte sich wahllos irgendeinen, der in greifbarer Nähe lag.

„Ich hoffe, dass wer auch immer den vorher aufhatte, keine Läuse hat." Mit spitzen Fingern hob Olivia ihren neuen Hut auf Augenhöhe und begutachtete ihn mit gerümpfter Nase.

„Die Viecher kannst du doch eh nicht sehen", kommentierte Tyler. Er hatte seinen Hut schon wieder aufgezogen und breitete seine Arme aus. „Wir sind erlöst, Leute!"

Ausgelassen sammelten wir uns zu viert in einer Gruppenumarmung. Olivia stöhnte schmerzverzerrt auf, als Jason und Tyler anfingen in die Luft zu springen, aber ich konnte nur haltlos lachen.

Wir hatten den Abschluss in der Tasche. Alle Prüfungen waren erledigt und bestanden. Nicht, dass ich mir Sorgen gemacht hätte, durchzufallen. Ich hatte mehr gelernt als für normale Klausuren, aber nicht so viel, wie ich es von anderen mitbekommen hatte. So wichtig waren mir die Noten nicht gewesen. Wenn Nate nicht gewesen wäre, der mich zum gemeinsamen Lernen gezwungen hatte, hätte ich vielleicht noch weniger für die Abschlussnote getan. Umso erleichterter war ich, dass nun endlich alles vorbei war. Dass die Freizeit rief. Ein Sommer, der hoffentlich weniger von Unruhe gekennzeichnet sein würde als der Letzte. Einer, den ich in vollen Zügen genießen konnte. Mit meinen Freunden und mit Nate.

„Wenn ihr mich weiter so zerquetscht, habe ich nichts mehr von dieser Erlösung", zeterte Olivia und zappelte so sehr neben mir herum, dass ich mich als erste aus der Gruppenumarmung löste. Suchend glitt mein Blick durch die Menge, die sich langsam durchmischte. Mitschülerinnen und Mitschüler fanden sich mit Freunden und Familie zusammen, die Gesichter waren mit Lächeln und Stolz gespickt, aber nirgends erkannte ich eines, das ich in diesem Moment finden wollte.

Neben mir knutschten Olivia und Jason sich ein bisschen zu überschwänglich ab. Tyler und ich wechselten einen gleichermaßen angeekelten und amüsierten Blick, ehe wir in Lachen ausbrachen.

„Schätze es ist Zeit für uns, abzuhauen", bemerkte er und ich stimmte zu. Trotzdem räusperte ich mich übertrieben laut, um die Aufmerksamkeit der beiden zu erlangen. Mit einem vernebelten Blick drehten sich beide Köpfe zu mir.

„Wir hauen ab", gab Tyler kund.

„Alles klar", meinte Jason, während Tylers Ankündigung bei Olivia noch nicht so ganz angekommen zu sein schien. Mir entwich ein Glucksen, wofür ich mir einen bösen Blick von ihr einfing.

„Viel Spaß mit der Family." Tyler wackelte mit den Augenbrauen, weil es das erste Mal war, dass Olivias und Jasons Eltern sich offiziell bei einem gemeinsamen Restaurantbesuch kennenlernen würden. Die beiden hatten sich die letzten Tage mit möglicherweise eintretenden Horrorszenarien übertrumpft, was zumindest Jason überhaupt nicht ähnlichsah. Auch jetzt wich ihm ein wenig die Farbe aus dem Gesicht und Olivia ließ ihre Hand von seinem Oberkörper gleiten, als würden sie in genau diesem Moment von ihren Familien beobachtet werden.

„Wird schon schiefgehen", munterte ich sie auf. „Zur Not füllt ihr alle mit reichlich Aperitifs ab, um die Stimmung zu lockern."

Olivia sah wenig überzeugt aus. „Oder aufzuheizen."

„Ach was, ihr seid beide wohlerzogen Kinder, also werden eure Eltern das auch sein."

„Aber wenn sie sich mit Essen bewerfen, will ich Dokumentation!" Mit einem Grinsen hielt Tyler sein Smartphone hoch und wackelte damit hin und her.

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