V I E R

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Ein unangenehm lautes Hämmern schlich sich am nächsten Morgen in meinen Kopf. Zuerst dachte ich, ich würde noch schlafen und das nervige Geräusch würde zu einem Traum gehören, doch schnell musste ich feststellten, dass ich wach war und rücksichtslos aus dem Schlaf gerissen worden war. Ich brachte ein verschlafenes Grummeln über die Lippen und zog die Decke höher, unter der es bereits zu warm war, als könnte ich den Lärm damit zum Verstummen bringen. Es klappte nicht.

Müde schlug ich meine Augen auf und sah mich nach der Unruhequelle um, bis ich sie in der Tür entdeckte. Plötzlich war ich hellwach. Er hatte kurze braune Haare, breite Schultern und muskulöse Oberarme, die durch ein enges Tanktop, das vermutlich einmal weiß gewesen war, nun allerdings von etlichen Schmutzflecken geziert war, perfekt zur Schau gestellt wurden. Dazu trug er eine ausgewaschene Jeans, bei der ich mich fragte, wie er darin den Tag bei den hier herrschenden Temperaturen überstehen wollte. Er konnte nicht viel älter sein, als ich. Für einen Moment starrte ich seine Arme an, die er immer wieder anspannte, bevor ich mich wieder zur Vernunft rief. Hastig setzte ich mich auf, aus irgendeinem Grund darauf bedacht, die Bettdecke an meine Brust zu pressen. „Äh", machte ich, weil mir beim besten Willen nichts Besseres einfiel, „Was machst du da?"

Der Typ hielt inne, drehte seinen Kopf zu mir und ließ den Hammer in seiner Hand sinken. Olivgrüne Augen verhakten sich mit meinen. Für den Bruchteil einer Sekunde starrte er mich an, doch dann legte sich plötzlich eine Verachtung in seinen Blick, die mich daran zweifeln ließ, dass er mich wirklich so überrumpelt angesehen hatte, wie ich es geglaubt hatte. „Wonach sieht es denn aus?"

Ich öffnete den Mund, nur um ihn sofort wieder zu schließen. Er wusste, dass die kaputte Tür auf mich ging. Sonst würde er mich nicht mit diesem missbilligenden Blick mustern. Als würde er sich gerade das Bild einer perfekten Zicke von mir machen. Mir schoss das Blut in dem Kopf. Komischerweise gefiel mir dieser Gedanke überhaupt nicht, weshalb ich mir auch einen Kommentar über dieses rücksichtslose Wecken verkniff. Zwar hatte ich keine Ahnung, wie spät es war, doch meiner Müdigkeit nach zu urteilen definitiv zu früh, obwohl das Sonnenlicht schon gleißend hell durchs Fenster fiel.

„Ich gehe nur meiner Arbeit nach." Er war anscheinend nicht davon ausgegangen, dass er noch eine Antwort von mir bekam. Kurz in die Hocke gehend tauschte er den Hammer, den er in seiner Hand hielt, gegen einen Schraubenzieher aus. „Wenn du ein Problem damit hast, kannst du es gerne selber machen. Ist ja schließlich dein Verschulden."

Das zum Thema die Gedanken anderer Menschen deuten.

„Niemand hat dich gezwungen, das zu reparieren", rutschte es mir ungehalten heraus. „Vor allem nicht in aller Herrgottsfrühe! Kannst du dir nicht vorstellen, dass andere Leute um diese Uhrzeit noch schlafen wollen?"

Und das zum Thema, diesen Eindrücken gerecht werden. Ich biss mir auf die Zunge.

„Du wirst es überleben."

Augenverdrehend ließ ich meinen Blick zu dem Bett meiner Mutter schweifen. Es war feinsäuberlich gemacht. Keine Spur von ihr. Ein Anflug der Panik überkam mich. War sie etwa schon gefahren? Meine Augen wanderten suchend durch das kleine Zimmer, doch ihre Reisetasche konnten sie nicht ausfindig machen.

„Bitte nicht", flehte ich kaum hörbar und strampelte die Bettdecke von mir runter. Vergessen war die Tatsache, dass ich keinen BH unter meinem hautengen Top trug. Ich schwang meine Beine aus dem Bett, kletterte barfuß über die noch immer mitten im Weg liegende Tür in den Flur und sprintete polternd die knarzende Treppe hinunter.

„Maylea?", kam es aus Richtung der Küche. Das war Sue, aber ich hatte nicht vor, Zeit damit zu verschwenden, jetzt einen Plausch mit ihr zu halten. Stattdessen riss ich die Haustür auf, stürmte barfuß auf die Veranda und bis zur letzten Stufe der Treppe hinunter, wo ich stehen blieb und regnungslos auf den Fleck starrte, wo Mum gestern ihr Auto abgestellt hatte.

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