Z W E I U N D Z W A N Z I G

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Emma hatte mich eiskalt angelogen.

Aus den Autoboxen drang lautstarke Countrymusik, bei der die Sänger von dem einen perfekten Mädchen schwärmten, wie sie es für sich gewannen und wie sie versuchten, über es hinwegzukommen, wenn es Schluss machte. Sie sangen von Whisky und Bier, Lagerfeuern, Pick-Up-Trucks und Sex. Das schlimmste allerdings war, dass jede einzelne Person in diesem Jeep textsicher war und jedes Lied lautstark mitgröhlte. Jede, außer mir.

Wir waren mit insgesamt fünf Autos unterwegs und fuhren im Gänsemarsch hintereinander über unbefestigte Feld- und Waldwege, durch flache Bäche und so viele Schlaglöcher, dass ich mich wunderte, warum sich noch niemand übergeben musste, obwohl jeder außer unserem Fahrer dank ordentlichem Biervorrat gut angetrunken war.

„Oh mein Gott, ich liebe den Song", kreischte Emma mir ins Ohr, als gerade mal zwei Gitarrentöne gespielt wurden. Sie packte meinen Oberschenkel und tat dasselbe mit dem des kleinen Mädchens mit der Dolly Parton-Oberweite, das ich bereits von dem Tag am See kannte, und versuchte ihn durchzuschütteln.

Ich verzog gequält das Gesicht, konnte mir ein Lachen aber nicht verkneifen. Die gute Laune im Auto war einfach ansteckend. Je mehr Bier ich trank, desto besser fand ich diesen Ausflug.

Jedes der vier Fenster war offen, unsere langen Haare wirbelten unkontrolliert in der Luft herum und die Landschaften, an denen wir vorbeikamen, waren atemberaubend. Ich konnte mich kaum sattsehen und zum ersten Mal seit Jahren wünschte ich mir meinen alten Fotoapparat herbei, um die Aussicht festhalten zu können. Dann nahm ich einen großen Schluck aus meiner Bierdose, bevor ich mich zu sehr in negativen Gedanken verfangen konnte und drängte jeden Versuch meiner Erinnerung, mir den Tag zu verderben, zurück in den Teil meines Gehirns, aus dem er angekrochen kam.

„Oh mein Gott", stahl ich plötzlich Emmas Worte und sah sie mit großen Augen an. „Ist das ‚Footloose'?"

Sie spiegelte meinen Gesichtsausdruck. „Oh mein Gott, du kennst ein Lied?"

„Und ich bin sogar textsicher!" Nur wenige Sekunden später grölte ich mit den anderen im Chor und auf einmal verstand ich, warum alle so gut gelaunt waren. Es gab nichts Besseres, als ohne jegliche Verpflichtungen oder Ziele durch die Gegend zu fahren und Karaoke im Auto zu veranstalten. Es war mir total egal, dass ich kaum einen Ton traf, denn das tat niemand von uns. So sehr ich Countrymusik auch verabscheute, wünschte ich mir in diesem Moment zum ersten Mal, dass es nicht so wäre, denn dann würde ich vielleicht mehr Lieder als nur eins kennen und weiterhin mitsingen können. Ich kostete jede Sekunde des Songs aus, genoss den warmen Fahrtwind und die Sonne auf meinem Gesicht und wünschte, ‚Footloose' würde nie vorbei sein.

* * *

„Müssen wir die Autos am Ende eigentlich auch noch im Bikini waschen?", wollte ich von Emma wissen, als sie mir eine gekühlte Bierdose in die Hand drückte. „Um das Klischee des Tages abzurunden?"

Wir befanden uns schon wieder an einem See, einem größeren als letztes Mal jedoch. Die Fläche, auf der die Wagen willkürlich geparkt standen, war weitläufig und um das Ufer des Sees standen kaum schattenspendende Bäume, was den Ausblick dafür aber unschlagbar machte.

Die Fahrzeuge sahen schon nach der ersten Tour vollkommen verschmutzt aus. Sie waren staubbedeckt und untenrum klebte in der Sonne trocknender Matsch. Keine Ahnung, ob eine normale Waschanlage es mit so viel Schmutz von so vielen Autos aufnehmen konnte. Bestimmt gab es im Ort nur eine einzige.

„Hast du überhaupt einen Bikini dabei?", erwiderte Emma amüsiert. Mit einem Zischen öffnete sie ihre eigene Bierdose. Ich tat es ihr gleich. Es hatten sie wie beim letzten Mal kleine Grüppchen gebildet, da wir einfach zu viele Leute waren, um uns in einer großen zu unterhalten, obwohl die Hälfte aller Leute sowieso den See in Beschlag genommen hatte.

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