Strafe

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Am nächsten Morgen, als ich noch im Bett liege, klopft es an meiner Tür. Mir geht es nicht gut. Ich habe von den beiden toten Männern geträumt.

»Herein«, sage ich, während ich aufstehe. Ich höre mich schrecklich an.

Milan tritt ein und sieht unglücklich aus. Ich stehe im Nachtkleid vor ihm, aber das ist mir egal. Es ist weiß und bodenlang, dadurch sieht er nicht allzu viel von meinem Körper.

»Ich habe eine Strafe für dich gefunden, aber ich weiß nicht ... du musst das nicht tun. Es war nicht deine Absicht. Du musst nur lernen mit deinen Kräften umzugehen.«

»Schon gut. Du musst es nicht klein reden. Ich habe zwei weitere Menschen auf dem Gewissen. Jeden anderen hättest du längst hinrichten lassen, nur mich nicht, weil du mich angeblich brauchst. Also wie lautet die Strafe?«

Milan tut sich sichtlich schwer es auszusprechen. »Du wirst dort, wo es passiert ist, einen ganzen Tag lang im Stehen angekettet. Ohne etwas zu trinken und zu essen.«

Milan kann mir nicht in die Augen sehen. »Du wirst dich nicht hinsetzen können.«

»In Ordnung. Aber die Strafe wäre eigentlich länger, nicht wahr? Ein Tag ist nicht gerade viel für zwei Morde.«

Er sieht verbissen aus. »Und wenn schon. Das reicht«, sagt er mit Nachdruck.

»Gut, besser als keine Strafe«, meine ich nüchtern. Ich merke, dass er mir keine härtere Strafe geben möchte. Aus welchen Gründen auch immer.

Milan sieht nun noch unglücklicher aus. »Du musst das wirklich nicht tun.«

»Ich ziehe mich schnell um, dann bringe mich hin«, sage ich nur.

Milan seufzt und verlässt mein Zimmer.

Mit seiner Kusche fahren wir zum Ort des Geschehens. Stefano wartet dort schon, der einen Pfeiler zaubert, der aus dem Boden ragt. Er zaubert noch Handschellen, die am Pfeiler befestigt sind.

»Mein König«, sagt er als seine Arbeit verrichtet ist und verneigt sich.

Milan nimmt vorsichtig meine Hände und legt sie in Handschellen. Seine Miene ist kühl und unbarmherzig. Er spielt seine Rolle für die Schaulustigen, die wissen möchten, was hier vor sich geht. Vermutlich hat niemand die Morde mitbekommen, weil das Fest nicht in den Nebengassen stattfand.

»Einen ganzen Tag im Stehen an diesen Pfeiler gekettet. Kein Essen, nichts zu Trinken. Das soll deine Strafe sein«, verkündet Milan lautstark mit finsterer Miene, aber seine Augen sehen traurig aus. Er tritt zurück und sagt zu seinem Kutscher: »Bring mich zurück zum Schloss. Wir werden Paola abholen und danach zum Blumendorf fahren.«

Die Kutsche rollt los und Stefano geht. Zurück bleiben ich, Milans Rabe, der auf dem Pfeiler sitzt und die wenigen Schaulustigen. Ich erkenne den Mann wieder, der entkommen ist. Wütend sieht er mich an, aber in seinen Augen liegt Angst. Langsam kommt er auf mich zu.

Er spricht leise: »Mein König hat mir zwar einen Schwur abgenommen, nicht darüber zu sprechen, was geschehen ist und werde sterben, wenn ich es dennoch tue, aber ich vergesse nicht, was geschehen ist. Du magst zwar eine Göttin sein, aber du bist nicht unsterblich. Ich habe keine Angst vor dir.«

Der Rabe namens Koraki krächzt und ich gebe ein Knurren von mir. Der Mann weicht ängstlich zurück.

»Ruiniere dir bloß nicht deine Hose, wenn du dich einnässt«, sage ich mit kaltem Lächeln und er verschwindet schnurstracks.

Feigling. Er will sich nur aufspielen. Wieder gibt der Rabe einen Laut von sich, der sich wie ein Lachen anhört, was mich zum Grinsen bringt. Irgendwie ist er süß. Die Menschen gehen irgendwann, weil nichts Aufregendes geschieht. Sie fragen sich bestimmt, warum ich bestraft werde. Mit Sicherheit wissen sie, wer ich bin. Sie müssen mich bei der Aufführung im Theater gesehen haben. Eine Geschichte werden sie sich schon zurechtlegen, weswegen ich bestraft werde, die mit Sicherheit nichts mit einem Mord zu tun hat.

Licht und DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt