Kinder

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Aufgewühlt liege ich im Bett und hoffe darauf schnell einzuschlafen. Umso schneller der neue Tag beginnt, desto schneller komme ich nach Hause. Ich ignoriere das seltsame Gefühl der Wehmut, das meine Freude überlagert. Mir kommt Sarinas Vorhersage in den Sinn. Sie meinte, es gäbe keine Möglichkeit zur Flucht für mich. Obwohl nun die Soldaten an der Grenze abgezogen wurden? Ob sie gesehen hat, dass Milan mich nach Hause schicken wird? Was immer sie gesehen hat, ich muss also doch nicht hier im Dunkelreich bleiben. Vielleicht habe ihre Aussage nur falsch verstanden.

Milan sieht während der Kutschfahrt nicht glücklich aus. Kasper entgeht dies nicht und fragt: »Mein König, was ist denn heute mit dir los? Hast du gestern zu viel getrunken?«

»Nein, habe ich nicht. Koraki hat vorhin mit mir über Gedanken kommuniziert. Amalia, ich muss dich etwas fragen. Hast du deiner Familie diesmal geschrieben, dass es dir schlecht bei mir geht?«

»Nein, das Gegenteil habe ich geschrieben, warum fragst du?«

»Und du weißt nichts davon, dass dein Vater mein Reich angreifen will?«

Ich bin überrascht.

»Nein, davon weiß ich nichts. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er so etwas vorhat. Beim letzten Mal hat er schon genug Soldaten verloren. Wie kommst du denn auf so etwas?«

Milan seufzt und fährt sich mit der Hand durch seinen Dreitagebart. »Ich bekomme seit einigen Wochen Drohbriefe. Jemand droht mir damit, mein Reich einzunehmen. Außerdem droht er mir damit mich zu zerstören, sobald er meine Schwäche kennt.«

Erschrocken sehe ich ihn an. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Vater solche Briefe schreibt. Aber ich werde mit ihm sprechen, wenn ich zu Hause bin. Sollten die Briefe von ihm kommen, hat es sich sowieso erledigt mit meiner Rückkehr.«

»Du darfst zurück nach Hause?«, fragt mich Sarah verwundert und wirft einen kurzen Blick auf Milan, der vor sich hin grübelt.

Ich nicke und mir entgeht nicht der irritierte Blick, den Kasper Milan zuwirft.

»Wir sprechen später alleine, mein König«, sagt Kasper bestimmt und Milan nickt.

Während der Fahrt mache ich mir Gedanken um die Briefe. Wer könnte so etwas drohen? Ich bin sicher, dass sie nicht von meinem Vater kommen. Hoffentlich erlaubt sich nur jemand einen Scherz.

Wir vier verlassen die Kutsche mit einem Lächeln, denn eine Menschenmenge hat sich vor dem Kinderheim versammelt. Das Heim befindet sich in Palmendorf. Seinem Namen entsprechend befinden sich unzählige Palmen in den Straßen und Gassen des Dorfes. Auch hier stehen viele Palmen auf dem Vorplatz des Kinderheims und wehen in der warmen Sommerbrise. Milan ergreift meine Hand und führt mich vor das Gebäude.

»Bleibe bitte neben mir. Ich möchte nicht, dass du hinter mir stehst, wie jemand mit niedrigerem Rang.«

Ich nicke und schaue in die Menge, die uns neugierig mustert.

»Wir freuen uns heute hier zu sein und das Kinderheim von Palmendorf zu besichtigen. Einen Monat ist die Eröffnung her und ich möchte nach dem Rechten sehen. Außerdem möchte ich meinem Gast Amalia vom Hof des Wetters zeigen, welche Fortschritte wir im Dunkelreich machen«, ruft Milan.

Die Menge klatscht und jubelt.

»Wir sind so dankbar, mein König!« ruft eine Frau aus der Menge.

»Ihr seid so gütig! Nicht wie Euer Vater«, ertönt sie Stimme eines Mannes.

Milan neigt seinen Kopf zum Dank. Eine ältere Frau kommt zu uns knickst.

»Mein König, ich bin Magda, die Leiterin des Hauses, falls Ihr Euch nicht mehr an mich erinnert. Ich werde Euch mit Vergnügen herumführen. Die Kinder sind ganz aufgeregt, weil unser König zu Besuch kommt.«

Licht und DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt