Kräfte

104 5 4
                                    

Ich betrete den Raum in meinem dunkelgrünen Kleid, das einen schönen Kontrast zu meinen rotblonden Haaren bildet. Beram ist zum Glück nicht da. Milan und Julian begrüßen mich.

»Guten Abend die Herren«, sage ich und versuche ein wenig Lockerheit zu versprühen. Hoffentlich bekomme ich nicht wieder Milans Griesgrämigkeit zu spüren.

»Nehmen Sie Platz, werte Dame«, sagt Julian mit einem Lächeln.

»Du musst Hunger haben nach eurem Training«, meint Milan, der irgendwie zurückhaltend wirkt, so als würde er abwägen, was er sagt.

»Ja, sehr«, gebe ich zu und häufe Kartoffelstückchen auf meinen Teller. Danach lege ich ein Stück Rinderbraten dazu und gieße braune Soße darüber. Ich höre wie jemand mit den Fingern auf den Tisch trommelt. Ich sehe erst zu Julian, der allerdings mit Essen beschäftigt ist. Ich schaue zu Milan, der die Geräusche erzeugt und gedankenverloren auf den Kerzenleuchter auf dem Tisch starrt. Ich folge seinem Blick und mir fällt auf, dass die Arme des Leuchters verbogen sind.

»Das war gestern noch nicht«, meine ich.

Milan hört auf mit den Fingern zu trommeln und sagt ohne den starren Blick vom Kerzenleuchter abzuwenden: »Es gab einen kleinen Zwischenfall, nachdem du gegangen bist.«

»Ein Zwischenfall?«, frage ich und weiß, dass es etwas mit dem Poltern von gestern zu tun hat.

»Eine Meinungsverschiedenheit mit meinem Onkel.«

»Wo ist er eigentlich? Speist er wieder mit den anderen?«, frage ich und schiebe mir ein Stück Fleisch in den Mund.

»Nein, ich habe ihn für eine Weile weggeschickt. Außerdem ist er nicht länger mein oberster Berater. Diesen Platz wird Julian nun einnehmen, was längst überfällig war.«

Ich bin erstaunt über die Sache mit Beram.

»Das muss eine große Meinungsverschiedenheit gewesen sein«, sage ich und versuche teilnahmslos zu klingen. Ich bin mehr als froh, dass Beram fort ist.

»Für mich schon. Es ging um etwas das mir sehr wichtig ist. Ich wollte nur seine Meinung hören, falls ein gewisser Fall eintritt. Aber er war überhaupt nicht meiner Meinung. Aus Gründen, die ich nicht akzeptieren kann.«

Milan starrt immer noch den Kerzenleuchter an und seine Faust ist geballt.

»Dann ist es gut, dass er fort ist. Vielleicht ist Julian deiner Meinung in dieser Angelegenheit«, sage ich diplomatisch und trinke einen Schluck Apfelsaft.

Julian grinst und sagt: »Ohja, das bin ich. Aber wir müssen sehen, was die Zeit bringt.«

Ich nicke nur und esse weiter.

Milan räuspert sich und sagt an mich gerichtet: »Es gibt Neuigkeiten von deinem Vater. Er hat mir einen Brief geschickt. Er schreibt, dass er dich zurückfordert und mir etwas anderes dafür geben möchte. Genau genommen seinen Hof des Wetters.«

Ich verschlucke mich an der Kartoffel in meinem Mund und huste. Als ich die Kartoffel hinunter gewürgt habe, sage ich: »Das kann nicht sein Ernst sein. Sein Hof bedeutet ihm alles. Wo möchte er sonst leben? Lass mich raten, du hast sowieso abgelehnt.« Ich hoffe es.

»Ja, das habe ich. Er wäre in eines der Gebiete der anderen Höfe gezogen und hätte mir mehr Land gegeben. Aber ich möchte seinen Hof nicht. Ich möchte ... mehr.«

»Mehr?«, frage ich aufgebracht und knalle meine Gabel auf den Tisch. »Willst du das ganze Lichtreich? Nein, nicht mal das würde dir wahrscheinlich reichen. Wie kann man so machtbesessen sein? Hältst mich hier gefangen und gibst dich mit nichts zufrieden, was dir für meine Freiheit angeboten wird. Man könnte meinen, du willst gar nicht, dass ich gehe.«

Licht und DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt