Vergissmeinnicht

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Heute ist Milan wieder besser gelaunt. Er plaudert mit Kasper über ein Turnier, das in einer Woche von einem Edelmann des Reiches veranstaltet wird.

»Ich werde dieses Mal nur zusehen und dich auslachen, wenn du verprügelt wirst«, neckt Milan Kasper und sticht ihn mit seinem Ellbogen.

»Das glaubst auch nur du. Wenn ich so schlecht wäre, würde ich nicht dein Leibgardist sein.«

»Da muss ich dir Recht geben.« Milan sieht aus dem Fenster und ruft plötzlich: »Halt!«

Ich erschrecke und starre ihn an. Der Kutscher reagiert sofort und Milan steigt aus.

»Amalia, ich möchte dir noch etwas zeigen«, meint Milan und streckt mir seine Hand hin.

Ich ergreife sie verwundert und steige aus. Sarah und Kasper bleiben in der Kutsche sitzen und sehen verblüfft aus. Milan lässt meine Hand los und geht voran. Wir befinden uns am Ende eines Dorfes und vor uns liegt ein großer Hügel, den Milan erklimmt.

»Was möchtest du mir denn zeigen?«, frage ich außer Atem, während ich den Hügel hochlaufe.

»Das siehst du gleich. Ich bin mir sicher, es wird dir gefallen.«

Milan ist bei der Spitze des Hügels angekommen und sieht zurück zu mir.

»Ich hab's gleich«, sage ich und gehe die letzten Schritte.

Staunend bleibe ich stehen, als ich bei Milan bin. Am Fuße des Hügels erstreckt sich in der Dämmerung ein riesiges Blumenfeld. Ich spüre schon hier das Leben der Pflanzen. Sofort laufe ich den Hügel hinunter in das Blumenfeld. Ich benutze meine Kraft, um die Blumen zur Seite zu biegen, damit ich nicht auf sie trete. Lachend laufe ich durch das Feld und fühle mich berauscht von der Magie, die eine Verbindung zwischen den Pflanzen und mir herstellt. Ich drehe mich im Kreis und lenke die Blumen. Ich lasse sie meterhoch wachsen und Milan sieht begeistert zu. Nach und nach lasse ich sie wieder kleiner werden. Milan geht langsam hinter mir her und ich biege auch für ihn die Blumen zur Seite.

Ich schlendere weiter durch die bunte Blumenpracht. Es sind viele verschiedene Arten und alle wunderschön. Auf einmal ergreift Milan meinen Arm und ich drehe mich zu ihm um.

»Ich wusste, dass es dir gefällt«, sagt er mit rauer Stimme.

»Du hast mir wirklich eine Freude gemacht.«

»Ich wollte dir noch etwas Schönes zeigen, an deinem letzten Tag in meinem Reich.«

Traurigkeit schleicht sich in seine Stimme während er spricht.

»Du musst nicht traurig sein«, versuche ich ihn aufzumuntern, aber mir fällt nichts Aufbauendes ein. Ich verstehe ja nicht einmal, warum er mich überhaupt so lange hier behalten wollte.

Milan ergreift erneut meinen Arm und zieht mich sanft näher zu sich. »Das bin ich aber. Ich werde dich vermissen. Wen soll ich necken, wenn du nicht mehr da bist?«

»Julian wäre ein gutes Opfer«, meine ich und sehe lächelnd zu Boden.

Milan legt eine Hand an meine Taille und die andere legt er unter mein Kinn, um meinen Kopf sanft anzuheben. Ich bin längst nervös und spüre mein galoppierendes Herz. Warum muss er mich so berühren und mich mit diesen blauen, funkelnden Augen ansehen? Auf einmal wird es taghell und ich blinzele verwirrt in die Sonne.

»Was zur Unterwelt?«, frage ich. »Warst du das?« Diese Frage macht keinen Sinn, wie mir nun auffällt.

»Nein, natürlich nicht.«

Milan lacht ungläubig auf und ergreift meine Hände. Erst jetzt fällt mir auf, dass sie ganz warm sind und schwach leuchten. Vor Schreck entreiße ich ihm meine Hände und starre sie an. Die Sonne verschwindet und die Dämmerung kehrt zurück.

Licht und DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt