Chapter 15 - Harry

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In dem Zimmer, in welchem ich aufwache, ist es dunkel. Die Vorhänge sind zugezogen und halten das Tageslicht davon ab, einzudringen. Mein Kopf schmerzt und als ich mir an die Stirne fasse, spüre ich eine Beule an der rechten Seite. Autsch.
Müde taste ich mich vor und bekomme einen kleinen Tisch zu fassen, worauf eine Lampe stehen muss. Ich drücke den Schalter und der Raum erhellt sich schlagartig. Das grelle Licht durchflutet meine Augen und erzeugt ein schmerzhaftes stechen.

Ich erkenne nach mehrfachem blinzeln, dass ich mich in meinem Schlafzimmer befinde. Wie ich allerdings ins Bett gekommen bin, weiß ich nicht mehr. Verwirrt blicke ich mich im Raum um, drehe meinen Oberkörper um 180 Grad und entdecke eine Männliche Gestalt, eingehüllt in meiner Bettwäsche.
Panik liegt in meinen Gesicht, als ich mich vorsichtig über das Bett rolle und die Bettdecke anhebe, um den Eindringling zu identifizieren.
,,Fuck, was zur Hölle?!", rufe ich schockiert aus, schlage mir sofort die Hand vor dem Mund, damit Louis nicht aufwacht. Er zeigt jedoch keine Reaktion und schläft tief und fest weiter.
Erst jetzt fällt mir auf, wie stickig die Luft in diesem Raum ist. Alles hier stinkt nach Alkohol. Die Luft, die Bettwäsche, selbst mein Pyjama.

Sofort schlage ich die Decke von meinem Körper und springe auf. Ich habe keine Ahnung, wie Louis hier, bei mir gelandet ist! Entweder er hat sich selbstständig Zugang verschafft, oder ich halluziniere. Denn offensichtlich muss ich gestern Abend mehr als nur ein Glas Whiskey getrunken haben...

Leise schließe ich die Schlafzimmertür hinter mir. Ich kann Louis jetzt unmöglich aufwecken. Ich habe keine Ahnung was ich ihm sagen soll. Immerhin haben wir die Nacht zusammen in einem Bett geschlafen! Und das, obwohl wir vor nichtmal 12 Stunden getrennte Wege gegangen sind. Zugegeben, es waren die härtesten 12 Stunden meines Lebens, aber, dass er so schnell wieder auftauchen würde, hätte ich nicht gedacht.

Ich habe nicht den blassestem Schimmer wie ich mich ihm gegenüber verhalten soll. Es ist eine Katastrophe! Viel mehr eine Herausforderung, welcher ich definitiv nicht gewachsen bin.
Noch dazu die Kopfschmerzen welche meinen Schädel auseinandernehmen. Wie betrunken war ich bitte? Ich bin von Grund auf durcheinander und Verwirrung ist gar kein Ausdruck dafür, was ich gerade empfinde.
Ich brauche einen klaren Kopf und zwar schnell!
Also gehe ich weiter den Flur hinunter, durch das Wohnzimmer hin zur Küche. Ich brauche dringend eine Aspirin. Doch als ich um die Ecke biege, sehe ich bereits, wem ich dieses Desaster zu Verdanken habe.

,,Gemma? Was machst du hier?"
Meine Schwester steht an den Kühlschrank gelehnt und begutachtet meine Küche.
In ihrer Hand eine dampfende Kaffeetasse.
,,Willst du mich auf dem Arm nehmen? Ernsthaft Harry, du erinnerst dich nicht?", sie sieht mich erstaunt an, als wollte sie sagen: „Ich hatte dich gestern weniger betrunken in Erinnerung."

,,Du hast mich angerufen und mir die Ohren voll geheult, wie schlecht es dir geht.", hilft sie mir auf die Sprünge, während ich gedanklich zum Tausendsten Mal die übriggebliebenen Erinnerungen von gestern durch gehe.
Da war das Klavier und ein Lied, was ich geschrieben habe. Ein Glas voll Wiskey und wenn ich mich konzentriere sehe ich auch noch ein zweites vor meinem inneren Auge aufleuchten.
,,Du lagst auf dem Boden, als ich endlich dein Apartment gefunden habe. Ehrlich wie schwer ist es einen Schlüssel unter der Türmatte zu verstecken?!", sie sieht mich säuerlich an, ihre Lippen kreuseln sich gefährlich und ich erkenne erst jetzt die dunklen Schatten unter ihren Augen. Sie scheint gestern eine lange Nacht gehabt zu haben...
,,Wieso bist du überhaupt gekommen?", frage ich stirnrunzelnd, da ich jegliche Erinnerungen verloren haben muss. Vermutlich ab dem Moment, wo mein Kopf auf den Boden geschlagen ist. Daher muss auch die Beule an meinem Kopf kommen...

,,Du hast ziemlich viel Scheiße erzählt, dass will und kann ich jetzt nicht alles wiedergeben. Such dir nächstes Mal einen Therapeuten, ehrlich! Ich musste zwei Stunden in einem stickigen Taxi sitzen! Weißt du wie grauenhaft der Verkehr in Manhatten ist?"
Sie sieht mich Vorwurfsvoll an, und ich kann es ihr nicht einmal verübeln.
Es ist immerhin nicht das erste Mal, dass ich meine Schwester an einem verkaterten Morgen gegenüber stehe. Ich kann von Glück sprechen sie zu haben, wer weiß was sonst noch passiert wäre!
Und mit einem Mal kommt mir ein Gedanke...
Was wenn ich Louis angerufen habe und ihn solange voll geheult habe, bis er Mitleid bekommen hat?! Was, wenn er nur deshalb hier ist?
Das wäre das armselige, was mir je passiert ist.

,,Schläft er noch?", Gemma deutet auf die Schlafzimmertür hinter mir. Sie reißt mich damit aus meinen Gedanken, kommt gleichzeitig auf das Thema, welches ich soeben ansprechen wollte.
,,Denke schon. Weißt du, warum er hier ist?", ich sehe sie zögerlich an, da ich Angst vor der Wahrheit habe.
Bin ich wirklich schon so tief gesunken?

,,Ich habe ihn her gebracht. Schön euch wieder zusammen zu sehen.", sagt sie schmunzelnd, während sie einen Schluck aus ihrer Tasse nimmt.
,,Das erklärt so einiges.", sage ich mit zusammengebissenen Zähnen, während ich ihr teuflische Blicke zu werfe. Auf ihren letzten Satz gehe ich gar nicht erst ein. Aber das ich insgeheim erleichtert bin, das nicht ich ihn hergeschleppt habe, verschweige ich ihr lieber.

Ich weiß, dass ich nicht sauer sein dürfte, immerhin wollte ich genau das. Aber kann ich ihn noch nicht wieder unter die Augen treten, nicht nach dem, was zwischen uns vorgefallen ist. Gemma hat davon nicht die leiseste Ahnung und das soll auch so bleiben. Trotzdem gibt es ihr nicht das Recht, Louis einfach in meinem Bett abzuladen, als wäre er ein Geschenk für mich. Immerhin weiß ich noch nicht, was er von dem ganzen hält, mit mir die Nacht verbracht zu haben.

,,Wieso hast du ihn überhaupt hier hergebracht?!", will ich wissen und komme näher an sie heran, nur für den Fall, das Louis doch bereits wach ist.
,,Ich habe ihn vor einem Pub aufgegabelt. Er war ziemlich dicht, den Rest sollte er dir erzählen, vorausgesetzt er erinnert sich besser als du an gestern.", sie wirft mir einen besorgten Blick zu, welcher weniger bissig ist, als der erste.
,,Alles okay bei dir?", fragt sie mich dann zögerlich und ich muss schlucken.
Wenn ich nur wüsste, was gestern alles passiert ist, wüsste ich vielleicht auch, wie ich es erklären könnte. Aber das tue ich nicht.
,,Sieht so aus, als hättet ihr euch gestritten.", sie deutet auf mich, dann auf das Schlafzimmer, dessen Tür noch immer verschlossen ist. Gott, es muss schon 12 Uhr sein.
,,Wir haben nur –...Ich will nicht drüber reden.", sage ich abwesend, während ich mir einen Hocker greife und mich an den Tresen setzte. Ein Glas Wasser steht auf der Theke, daneben eine Aspirin. ,,Für dich.", sagt Gemma zurückhaltend und schiebt das Stück zu mir rüber, sodass ich die Tablette bequem greifen kann. Ich nehme einen großen Schluck vom Wasser, dann spüle ich sie in einem Zug herunter. Es erschreckt mich, wie gut ich mit der Zeit darin geworden bin. Tabletten muss ich schließlich jeden Tag einnehmen. Scheiß Psychiater.

,,Habt ihr noch eine für mich übrig?", höre ich jemanden hinter meiner Schulter sagen, perplex drehe ich mich um. Vor mir steht Louis. Seine Haare durcheinander und die Augen mit Dunkeln Ringen umzogen. Er sieht genau so furchtbar aus, wie ich mich fühle.
Es muss ihn gestern hart getroffen haben.
Ich bringe ein heiseres ,,Klar.", hervor, dann greife ich nach einer Tablettenpalette und drücke ihm eine weitere in seine Hand.
Ich erkenne ihn kaum wieder, sein Blick sieht irgendwie verändert aus. Sein gesamter Ausdruck ist anders als früher und ich frage mich, was gestern Abend noch passiert ist?
Und ob es meine Schuld ist, dass er derart aus der Bahn geworfen wurde?
Ich fühle mich schrecklich. Und ich kann sehen, dass er das gleich empfindet.
Wir sind uns ähnlicher als wir denken, so viel steht fest.

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