Chapter 24 - Louis

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Direkt am nächsten morgen wache ich – zu meiner Erleichterung– auf, und bekomme eine Tasse Tee ans Bett gestellt. Der Kaffe würde wohl in der nächsten Zeit wegfallen.
Etwas, was mich tierisch stört, bei weitem aber noch nicht die schlimmste Konsequenz ist, die ich tragen muss. Denn jetzt fängt der ganze Stress überhaupt erst an.
Ich darf vielleicht wieder zurück nach Hause, aber damit ist meine Behandlung noch nicht abgeschlossen.
Und es graulte mir davor, wie es weiter gehen würde... ich habe keine Lust die letzten Wochen meines Lebens wie ein rohes Ei behandelt zu werden. Und schon gar nicht von Leuten, die ich überhaupt nicht kenne und die mir nichts bedeuten. Denn der einzige Mensch, bei dem ich es mir wünschen würde umsorgt zu werden, ist verdammt noch mal nicht hier. Und ich hasse ihn dafür. Was auch immer der Grund sein mag, ich verstehe nicht, was wichtiger sein kann als das. Früher hätte ich gedacht, dass er nur Zeit braucht, damit umzugehen, weil er weiß wie schwer soetwas sein kann. Vielleicht macht er sich vorwürfe, die Anzeichen nicht früher erkannt zu haben, denkt es sei seine Schuld. Aber ist es diesmal anders. Ich habe keine Zeit, will ihm nicht die Schuld geben. Was ich wirklich will und brauche ist Harry. Aber ist er nicht hier. Vielleicht in seinem Apartment? Denke ich schon das fünfte mal an diesem grauen Morgen. 

Ich muss unbedingt zu ihm.
Also versuche ich mich aufzuraffen.
Mein Brustkorb schmerzte noch immer, die Nacht hatte ich nur unter Schmerzen und Husten ertragen können. Es macht mich kaputt, soviel steht fest.
Ich habe weniger Kraft in den Armen, meine Glieder schmerzen bei jeder Bewegung, die ich wage zu machen. Mein Körper bestraft mich, immer dann, wenn ich mich nicht ausruhen und versuche stattdessen weiter zu machen. Weiter zu leben.
Aber fällt es mir so schwer, dass ich schon jetzt keine Lust mehr habe.
Wofür das ganze? Frage ich mich. Wofür soll ich mich abquälen, wenn es am Ende auf das selbe hinausläuft...meinen Tod.

Ich will mich gerade zurück ins Bett schmeißen, als die Zimmertür geöffnet wird. Harry? Fragt mein Unterbewusstsein sofort, doch werde ich bitter enttäuscht.
„Morgen, wie fühlen sie sich?", kommt es von einer Krankenschwester, welche ein Tablett, gefüllt mit Pudding, vor mich abstellt.
„Geht.", sage ich geschwächt und richte mich daraufhin auf. Ich hasse Pudding.
„Möchten Sie denn dann nicht noch etwas hier bleiben?", fragt sie zur Sicherheit noch einmal nach, doch steht meine Entscheidung schon längst fest. „Nein, ich werde gehen."
Schließlich halte ich es keine Sekunde länger mehr hier aus. Schlechte Erinnerungen kommen in mir hoch und ich muss husten. Dieser verdammte Husten. Er ätzt mir praktisch die Lunge weg, während alles in mir vibriert. „Ich–", setze ich an, spucke aber im nächsten Moment etwas Blut in meinen Ärmel. „Ich will einfach–...Einfach nur hier weg.", sage ich schwer atmend, sodass sich bereits die Krankenschwester hinter mich stellt und auf meinen Rücken klopft. Als würde das einen Unterschied machen.

***

Einige Stunden muss ich noch warten, bis schließlich der Arzt meine Entlassungspapiere unterschrieben hat und mich nach draußen begleitet. Ich trage wieder meine eigenen Sachen, welche mir ins Krankenhaus gebracht wurden. Ich habe nach Harry gefragt, aber noch keine Antwort bekommen. Entweder weiß es in diesem Gott verdammten Krankenhaus wirklich niemand, oder sie belügen mich.
Egal wie, ich habe die Hoffnung, ihn bei sich Zuhause anzutreffen. Aber muss ich da erstmal hinkommen...

„Das Taxi steht für sie unten bereit. Ich hoffe, Sie bekommen das alleine hin. Eigentlich entlassen wir unsere Patienten ungern auf diese Weise.", Dr. Franklin hat sich hinter mich geschlichen und führt mich in Richtung Ausgang.

Ich kenne den Weg bereits, denn ist es der selbe, wie damals, als ich mit Harry hier heraus marschiert bin. Mit nur einem Unterschied.
Jetzt bin ich alleine, Todkrank und höre bereits die Reporter, welche anscheinend herausgefunden haben, wo der Nebenausgang liegt.
„Entspannen Sie sich. Ich weiß welche Medikamente ich wann und wie einnehmen muss. Ich werde schon nicht sterben.", sage ich ironisch und zwinge sogar ein Lachen auf meine Lippen. Der Arzt sieht mich mit traurigem Blick an, klopft mir einmal auf den Rücken.
„Wenn etwas sein sollte, melden Sie sich bitte sofort bei uns. Ich hoffe, dass Ihnen unsere Nummer noch bekannt ist: 911."
Genervt Rolle ich mit den Augen.
Früher hätte ich nie so respektlos gehandelt, aber diesmal habe ich das Gefühl, es wäre vielleicht meine letzte Chance, soetwas in einem Krankenhaus zu tun. Jetzt ist es eh egal, was die Leute von mir halten. Es kümmert mich nicht.
Und das ist das Schlimmste Gefühl von allem, wenn man merkt, dass man damit abschließt.
Dass man es akzeptiert hat und nicht mehr versucht dagegen anzukämpfen.
Dabei sollte ich versuchen stark zu bleiben, die letzten Wochen durch zu stehen, auch ohne Harry.
Meine Hoffnung, ihn vielleicht doch noch heute wieder zu sehen, glimmt in dem Moment auf, als ich wieder an ihn denken muss.

„Auf Wiedersehen.", werfe ich dem Arzt hinterher, als ich in das gelbe Taxi steige.
Dabei schmerzt es in meiner Brust, doch nicht wegen dem Krebs, sondern einfach, weil es absurd ist, so etwas überhaupt noch zu sagen. Da es kein Wiedersehen geben wird. Jedenfalls nicht in meinen Plänen...

***

Es ist bereits früh am Abend, als ich vor Harrys Apartment stehe. Es hat eine Ewigkeit gebraucht, bis ich an all den Paparazzi vorbei kam. Auf Fragen musste ich zum Glück nicht eingehen, immerhin war das Autofenster ein gutes Schutz zwischen mir und den Asfressern.
Allerdings konnte man anhand meines Gesichtsausdruckes bestimmt einiges ablesen. Das es mir nicht gut geht, habe ich nicht einmal versucht zu verleugnen.

Anschließend musste ich mich ablenken.
Kaum war ich draußen, wurde alles plötzlich so real. Ich hatte Angst zu der Wohnung zu fahren, angst davor, dass Harry nicht da sein würde. Dann wüsste ich nämlich nicht mehr, wo er sein könnte. Dann wäre ich alleine. Für den erbärmlichen Rest meines Lebens.
Und das kann ich nicht ertragen.

Trotzdem stehe ich jetzt hier. Halte den Schlüssel in meiner Hand, welchen ich noch in meiner Jackentasche gefunden habe. Die Erinnerung an diesen Abend schmerzt, weil wir da noch so glücklich waren und ich jetzt nichts mehr davon spüre.
Ich bin zerbrechlich geworden.

Mein Herz beginnt zu rasen, als ich die Eingangstür aufschiebe und in das bereits dunkle Treppenhaus trete. Es ist still, niemand scheint da zu sein und wieder erreicht mich die Panik, es könnte wirklich niemand hier sein. Dabei brauche ich ihn jetzt mehr, als jemals zu vor in meinem Leben. Ich vermisse ihn.
Alles an Harry.
Sein Geruch, seine grünen Augen, seine Haare. Ja verdammt, ich möchte noch einmal das Gefühl seiner weichen Locken unter meinen Fingern spüren. Nur noch ein letztes Mal. Ich will ihn ein letztes Mal küssen, ihn an mich heranziehen und sagen, wie sehr ich ihn liebe und wie leid es mir tut. Dass er nie nicht nur ein Teil meines Herzens war, sondern dass er es besessen hat. Das er mein Herz ist, welches immer so stark in meiner Brust schlägt, wenn ich ihn sehe.
Tränen brennen in meinen Augen, als ich mich verzweifelt auf der Suche nach Nähe das Geländer hinaufziehe. Seine Wohnung liegt im dritten Stock, diesesmal zwei Stockwerke zu viel.
Völlig erschöpft und fertig komme ich schließlich oben an.
Ich stehe kurz davor die Liebe meines Lebens zu sehen. Vielleicht das letze Mal.

Umso mehr zittern meine Finger, als ich erneut den Schlüssel in das Schloss gleiten lasse und ihn umdrehe. Für einen Moment höre ich auf zu Atmen, Schweiß bildet sich auf meiner Stirn und mein Mund wird trocken. Wieso habe ich nur so eine Angst?
Ich sollte mich wirklich zusammen reißen...

Die Spannung sitzt so unerträglich in meinem Nacken, dass ich fast vor Aufregung explodiere und somit nicht weiter darüber nachdenke. Mit aller Kraft, drücke ich die Tür auf, mit einem Schwung, dass sie beinahe aus den Angeln gerissen wird und mit einem Rumps gegen die Wand knallt.

Der Flur ist dunkel. Es brennt kein Licht.

Ich schlucke schwer, taste mich weiter vor, nur um Enttäuscht zu werden.
„Harry?", rufe ich mit schwacher Stimme in die leere Wohnung. Fuck
Er ist nicht hier.
Panisch schalte ich das Licht an, schließe mit bebenden Fingern die Haustür hinter mir und gehe weiter ins Innere. Mit klopfenden Herzen und einem letzten Hoffnungsschimmer in den Augen, gehe ich ins Schlafzimmer. Leer.

Die Tür des Badezimmers fliegt auf, dann die der Küche. Nichts.
Letztendlich stehe ich im Wohnzimmer, verkrampfe die Hände hinter meinem Nacken und starre ins dunkle. Er ist nicht hier.
Er ist nicht mehr in New York.

Ich schlucke erneut, meine Knie werden weich und ich sinke auf den Boden.
Tränen beginnen unaufhaltsam über meine Wangen zu laufen. Ich schluchze in die Leere hinein, die mich umgibt. Wie konnte er mir das nur antun?
Ich beginne plötzlich an allem zu Zweifeln. An mir selbst, an ihm, an unserer Liebe.
Er würde mich niemals verlassen, wenn ich ihm wirklich was bedeutet würde. Er könnte soetwas nicht tun, nicht wenn ich die Liebe seines Lebens wäre.

Und dann frage ich mich, ob all das eine einzige Lüge war...
Die Versprechungen, die nie erfüllt werden würden. Die Worte, welche er mir nachts ins Ohr geflüstert hatte.
Ich kann sie nicht vergessen. Das werde ich nie. Und bin ich mir auch sicher, dass ich das hier nie vergessen werde.
Das werde ich ihm niemals verzeihen.

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