Chapter 29 - Harry

32 1 0
                                    

Hhhhh
Hhhhahh ...

Ich renne immer weiter. Die gesamte Brücke hinunter, bis ich am Ufer angekommen bin.
Bis ich nicht mehr Atmen kann...
Mein Kopf ist ausgeschaltet.
Meine Lungen funktionieren nicht, denn bekomme ich schon lange keinen Sauerstoff mehr.
Ich halte inne, starre in die Schwärze.

Und dann löse ich meine Beine vom Boden und springe.

Hinein in den Fluss.
Das Wasser ist eiskalt und fühlt sich wie tausend Nadelstiche auf meiner Haut an.
Hektisch schlage ich um mich, versuche durch die Strömung zu kommen. Irgendwie voran zu schwimmen.
Also tauche ich unter.
Meine Arme schlagen um mich, als hätte ich vergessen, wie man richtig schwimmt.
Ich greife ins leere.
Immer wieder, bis ich nach Luft ächzend auftauche.

„Louis!", brülle ich hysterisch und schlucke Wasser.
Die Wellen schlagen gegen mich und die Strömung reißt mich weiter vom Ufer weg.

Verdammt, ich muss ihn finden. Muss wissen, ob er noch lebt. Ob es wirklich er war.

Also gebe ich nicht auf, tauche erneut unter und fasse um mich.
Nichts.
Ich verliere unter Wasser die Orientierung, ich kann nichts erkennen.
Es ist so dunkel an diesem Ort, dass ich es nicht ertragen kann, dass er hier irgendwo schwimmen muss.

Und langsam, aber sicher merke ich, wie mir die Luft ausgeht.
Wie ich zu viel Energie in meine Beine und Arme stecke, dass es mich umbringt.

Ich suche nach der Wasseroberfläche, aber drücken mich die Wellen immer weiter nach unten. Ich ersticke an dem Wasser, das ich in meine Lungen pumpe.
Die Strömung zieht an mir, bis ich mich meinem Schicksal ergeben muss.
Unserem Schicksal...

***

„Harry! HARRY!"
Eine laute Stimme dringt durch meine tauben Ohren und lässt mich meine Augen öffnen. Ich werde immer wieder durchgeschüttelt, bis meine Schultern schmerzen und ich das ganze Wasser aus meinem Mund heraus brechen lasse. Ich fange an fürchterlich zu husten, kotze mir das Leben aus dem Hals, bis ich endlich keuchend nach Luft schnappe. Wasser läuft meine Haare hinunter und lassen mich bemerken, wie nass ich bin.
Mein Kopf zittert unaufhörlich, als ich in das Gesicht vor mich blicke.

Gemma kniet neben mir, ihre Hände noch immer um meine kalten Schultern geklammert.
„Ich dachte du wärst tot verdammt!", beginnt sie zu schluchzen und zieht mich gegen ihre Brust. „Was hast du dir nur dabei gedacht!", brüllt sie in mein Ohr.
Wie gelähmt lasse ich all das über mich ergehen, lasse meine Hände zaghaft über ihren Rücken gleiten, während ich das eine ausspreche, vor dessen Antwort ich mich fürchte.
„Ist er tot?" Meine Stimme bebt schrecklich. Mein ganzer Körper ist ein einziges Frack. Ich spüre kaum meine Hände und Beine, trotzdem lasse ich meine Schwester nicht los.
Ich höre sie Atmen. Merke, wie sie sich verkrampft, wie ihre Zunge ihre trocknenden Lippen befeuchtet. Und gerade als ich denke, dass sie etwas sagen wird, bleibt es stumm um mich.

Und in diesem Moment wünschte ich, ich wäre tot.

„Harry!", sagt sie traurig, als ich mich von ihr drücke und rüber zum Ufer sehe. Erst jetzt fällt mir auf, dass sie ebenfalls triefend nass ist. Das ihre Haare wild in ihrem Geischt kleben und ihre Wangen vor Anstrengung rot geworden sind.
Hätte sie mich doch einfach ertrinken lassen. Dann wäre jetzt vieles einfacher.

„Das werde ich dir nie verzeihen.", sage ich emotionslos, während ich mich in den schweren, nassen Klamotten auf die Beine ziehe. Mir wird kurz schwarz vor Augen, dann sehe ich sie wieder vor mir stehen. Sie hält meinen Arm fest, als könnte sie befürchten, ich würde mich wieder zurück in das rauschende Wasser stürzen.
Und scheiße, diese Idee erscheint mir nicht gerade die schlechteste zu sein. Denn wie sollte ich ohne Louis leben? Wie sollte ich es schaffen stark zu bleiben, wenn er nicht bei mir ist?

Ever Since New York Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt