Chapter 2 - Harry

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Seit knapp zwei Stunden rutsche ich in meinen schwarzen Stiefeln über die Schneebedeckten Straßen.
Der Schneesturm scheint schlimmer geworden zu sein und meine Jacke ist durchnässt vom geschmolzenen Eis, welches von den Bäumen tropft. Der Centralpark war immer mein liebster Ort in Manhattan, vielleicht auch, weil ich hier viel Zeit mit Lou verbracht habe.

Ich erinnere mich noch an die flauschigen Eichhörnchen, welche wir mir Nüssen gefüttert haben und an die vielen Hunde. Schon damals hatte er sich gewünscht, Clifford nur einmal mit hier her bringen zu können. Aber das gehört alles der Vergangenheit an.

Jetzt hinterlassen meine Schuhe große Löcher im tiefen Schnee, reißen auch die meiner Seele auf.
Mit einem Ruck ziehe ich meine Mütze von meinem Kopf und gehe mir energisch durch die braunen kurzen Haare. Es macht mich verrückt, denn scheine ich alles hier mit ihm in Verbindung zu bringen.
Ich fühle mich mies deswegen. Eine heiße Schokolade wäre jetzt das richtige gegen den Liebeskummer in meinem Herzen.
Überhaupt hat alles keinen Sinn mehr. Das stundenlange herumgelaufe , meine Gedanken um ihn.
Dass ich hier gelandet bin, im kalten Januar während andauernden Minustemperaturen, ist allein meinen Plänen verschuldet, dieses Jahr ein neues Album aufnehmen zu wollen. Hundertekilometer von meinem Zuhause entfernt.

Wutentbrannt trete ich gegen einen Ast, der unter der Schneelast abgebrochen ist und nun vor mir den Weg blockiert. Mein Weg Richtung Freiheit und Unabhängigkeit. Aber am allerwichtigsten: er soll mir einen Neuanfang ermöglichen.

***

Kling kling,
ertönt es, als ich die Tür eines Cafés aufdrücke. Kaum habe ich sie hinter mir ins Schloss fallen lassen, überströmt mich ein Anflug von Heizungsluft und der Duft von frisch gebackenen Himbeermuffins. Es liegt wohl an meiner Jugend, in welcher ich oft Stundenlang hinter der Bäckereitheke gestanden habe, dass ich diesen Geruch mit Zuhause verbinde.
,,Kann ich Ihnen weiterhelfen?" , kommt es von einer kleinen alten Dame, welche mir lächelnd entgegenblickt.
,,Haben sie noch einen Tisch frei?", frage ich vorsichtig, denn eine Abfuhr kann ich bei den Temperaturen draußen nicht verkraften. Mein Apartment ist noch wer weiß wie weit von hier entfernt, sollte ich dort eintreffen, bin ich vermutlich die Eiskönigin höchstpersönlich geworden. Nein danke.

,,Aber natürlich mein Engel. Für wie viele Personen?"
Ich weiß, dass sie nur höflich sein will. Dennoch muss ich mich zurückhalten nicht sofort in ein Gefühlschaos zu stürzen. Ich schlucke hart, dann rücke ich mit einer zerknautschten Antwort heraus.

,,Nur für mich."

,,Verstehe. Dort am Fenster ist gerade ein Platz frei geworden." , sie deutet auf einen Lederüberzogenden Stuhl, am anderen Ende des Raumes. Dort wo man eben hinkommt, wenn man niemanden an seiner Seite hat.

,,Danke.", sage ich bedrückt, quetsche mich an den vielen kleinen Tischen vorbei, welche alle belegt sind, bis auf einer, über dessen Stuhllehne eine einzige Jacke baumelt.
Es wundert mich nicht, dass alle Cafes und Restaurants heute derart überlaufen sind, schließlich hatte nicht nur ich den genialen Einfall, den Sturm abzuwarten. Und die Tatsache, dass ich anscheinend unerkannt geblieben bin, macht mich einerseits froh, andererseits sollte ich vielleicht mal wieder einen Blick in den Spiegel wagen. Wer weiß wie ich nach all dem Stress mittlerweile aussehen muss?!

Nachdem ich meine Bestellung aufgegeben habe - eine heiße Schokolade mit extra Sahne, wie mir versprochen - mache ich mich auf den Weg zu der kleinen versteckten Toilette neben dem Tresen.

Mit kalten Fingern drücke ich den vergoldeten Eisengriff hinunter und erzeuge durch mein Handeln ein lautes Knarren der Tür. Das Café muss wirklich alt sein, umso mehr wundert es mich, dass ich es noch nie hier gesehen habe. Andererseits war ich schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr in New York.

Sofort begebe ich mich in den Waschraum der Herrentoilette, schalte das grelle Licht an und betätige den verrosteten Hahn. Warmes Wasser prasselt auf meine Haut und lässt meinen Körper mehr Wärme tanken.
Anschließend schaufle ich mir eine Ladung davon in mein Gesicht.
Ich trockne es mit zwei Papierhandtüchern notdürftig ab, dann blicke ich in den zerkratzten Spiegel vor mir.
Ich sehe wirklich verwegen aus. Meine Haare stehen zu allen Seiten ab, meine Jacke hat dunkle nasse Flecken und Schmutzkörner überall verteilt. Meine Wangen sind gerötet und die Augenringe unter meinen Liedern kaum zu übersehen.
,,Yey.", schnaube ich erschöpft, dann schalte ich das Licht aus und ziehe am Türknauf.

Mit einem Ruck springt die schwere Tür aus dem Schloss und befördert eine andere Gestalt in meine Arme. Mit einem Rumsen Knallen wir gegeneinander, sodass ich stolpere und rücklings auf den Fliesen bedeckten Boden aufschlage. Der Mann, welcher anscheinend gerade eintreten wollte, landet auf mir und erzeugt eine Last, die mir die Luft aus den Lungen presst. Ich atme scharf ein, stöhne vor Schmerzen, die mir der Sturz zugetragen hat.
,,Arrg verflucht!", ächzt es über meinem Kopf.
Um uns herum ist alles schwarz, aus der geöffneten Tür nur ein Hauch von Licht. Doch reicht dieses bisschen aus, sodass ich sofort weiß, wer eben auf mich gestürzt ist. Mein Herz beginnt zwischen unseren Körpern schneller zu schlagen, viel zu schnell.
Wenn nicht das Licht ihn verraten hätte, dann spätestens sein Parfum oder seine verflucht raue Stimme.

Ich habe ihn schrecklich vermisst.

Ever Since New York Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt