Chapter 26 - Louis

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Ich knie auf dem Boden.
Meine Knöchel schmerzen bereits, genau wie mein restlicher Körper.
Ich weiß nicht wohin mit mir. Was mir mein Leben überhaupt noch bringt.
Wenn es doch niemanden gibt, mit dem ich es teilen kann.
Ich bin wütend. Wütend auf Harry, dass er nicht hier ist. Wütend, dass ich mich habe enttäuschen lassen. Dass ich so dumm war, ernsthaft zu glauben, er würde sich etwas aus mir machen.
Mit einem Mal packt mich der Zorn von hinten und zerrt mich zurück auf die Beine.
Wo ich mich eben noch so kraftlos und verloren gefühlt habe, spricht jetzt die Erbitterung aus mir. Und das erste was ich tue, ist sie an Harrys Wohnzimmer auszulassen.

Mit lauten Schritte und verzogenem Gesicht gehe ich auf die Kommode zu, wo all die Bilder stehen, die sein Leben darstellen.
Mit einem Schwung reiße ich alles hinunter, sodass die Rahmen in Scherben auf dem Packet landen. Ein lautes Rauschen entsteht, als ich alles mit den Füßen trete und ohne Reue durch das Wohnzimmer jage. Mein Handy werfe ich gleich hinterher, er wird mich ja doch nie anrufen.

Ich trete gegen die Couch, brülle mein Spiegelbild in der Fensterfront an und reiße die
Schubladen auf. In meiner blinden Wut packe ich alles, was meine zitternden Finger greifen können und schleudere es wild von mir.
Aggressiv hole ich immer mehr ans Tageslicht, öffne die nächste Lade, bis ich keuche und schwitze. Ich brauche das jetzt, denke ich innerlich.
Immerhin ist es nur fair, wenn ich mit ihm abrechne.
Denn genau wie er mein Leben verwüstet hat, mein Herz mit den Füßen getreten und mein Selbstbewusstsein zerschlagen hat, so tue ich es jetzt mit seinen Dingen.
Mit seinen persönlichen Dingen. Weil ich genau weiß, dass er sie alle hier aufbewahrt.
In diesen dummen Schubladen.
Sie sind vollgestopft mit Erinnerungen und Andenken, die er versucht vor der Welt zu verstecken. Die er niemandem zeigt.
Würde jemand in meinen Schubladen wühlen, dann würde er hingegen nichts finden. Weil meine Erinnerungen an die glücklichsten Momente meines Lebens nicht in Dingen stecken.
Sie stecken alle in ihm.

Und Fuck, ich würde ihn schlagen und mit den Füßen treten, wenn ich könnte. Weil er mir das letzte bisschen Hoffnung genommen hat, das ich noch hatte...

Ich stelle alles auf den Kopf, brülle meinen Frust weiter in sein Wohnzimmer, zerschlage teure Vasen und Lampen. Verrücke sämtliche Möbel so gut ich kann, schleudere Kissen durch die Wohnung, bis man irgendwann nicht mehr erkennen kann, wo die Küche anfängt und das Wohnzimmer endet. Ich bin fast am Ende meiner Kräfte, als ich eine letzte Schranktür neben der Tür entdecke. Sofort reiße ich auch diese auf und stürze mich auf all die Zettel und Briefe, welche darin liegen. Ich schmeiße sie in die Luft, fühle mich wieder wie ein Kind, bis ich mich schließlich in die Scherben fallen lasse und mein pochendes Gesicht in die angewinkelten Knie drücke. Meine Hände greife neben mich, um meinen Oberkörper zu stützen.

Meine Augen lasse ich offen, weshalb ich aus dem Augenwinkel all die Blätter sehe, welche unter meinen Beinen vergraben liegen.
Es müssen Liebesbriefe sein, denke ich betreten. Eine Menge Liebesbriefe. Ich schnaube, was dieser Idiot alles aufbewahrt. Trotzig ziehe ich einen der Zettel herbei und stutze.

Ich lese ihn mir durch, frage mich, wieso er mir so bekannt vorkommt, bis ich das Ende lese.

Always in my heart
Your Sincerly
Louis Tomlinson

Tränen brennen mir in den Augen. Erst jetzt wird mir klar, dass sie alle von mir sind.
All die Briefe, die ich wütend durch die Luft gewirbelt habe, welche jetzt überall im Zimmer zerstreut liegen und sich nun mit Scherben und Splittern vermischen.
Es sind alles die Splitter von Harrys Herzen. Die Scherben seiner Seele, welche ich achtlos zerrissen habe, nicht die Vasen und Bilderrahmen. Und selbst, wenn es eben noch mein Ziel war, alles zu zerstören, fühlt es sich jetzt plötzlich so verdammt falsch an.

Weil es alles Erinnerungen und Andenken an mich sind, die er aufbewahrt hat. Die ordentlich in Schubläden und Schränken versteckt waren, damit nicht Fremde sein wahres ich sehen konnten. Doch habe ich das alles zerstört. Habe es in Trümmer gezogen, nur um mich besser zu fühlen. Dabei bin ich nicht besser als er.

Die Tränen tropfen auf meine Jeans, laufen meine Wangen hinab, bis ich alles nur noch unter einen Tränenschleier erkennen kann.
Auch das Bild von ihm und mir.
Es liegt vor meinen Füßen, die Scheibe ist zersplitterte und der Rahmen zerbrochen. Das Bild  zerkratzt, trotzdem kann ich es eindeutlich erkennen. Harry küsst mich, ich halte seine Hand und grinse dabei. Er hat es mir gezeigt, als ich das erste Mal bei ihm hier war.
An dem Tag, als er mich aus dem Krankenhaus abgeholt hat.
Und nur um ganz sicher zu gehen, wende ich es einmal in meiner Hand, schneide mich beiläufig an dem gebrochenem Glas und blicke auf seine Handschrift.

Larry is real – HS

Fuck, ich Idiot.
Ich wische über meine Augen und schluchze auf.
„Tut mir leid Harry.", sage ich zu dem 17 jährigen Lockenkopf, welchen ich noch immer in meinen Händen halte. „Es tut mir so leid.", ich schluchze immer inniger, lasse dem Schmerz diesmal auf eine andere Weise seinen Lauf.
Ich hasse mich dafür, was ich uns beiden angetan habe. Dass ich Lungenkrebs habe und rein gar nichts mehr tun kann, um es rückgängig zu machen.
Damals waren wir noch glücklich und verliebt, was wir heute sind, ist schwer zu sagen.

Vorsichtig richte ich mich auf und stelle das kaputte Bild notdürftig präpariert auf die Kommode zurück. Es ist das einzige, was noch aufrecht steht.

Ich gehe einige Schritte zurück, um es zu betrachten, sodass meine Füße über die anderen Blätter rutschen.
Und erst dadurch wird mir klar, was sich noch alles in diesem Blätterhaufen befindet. Nicht nur Liebesbriefe und Gedichte... sondern auch Songtexte.

Manche sind Jahre alt, in furchtbar schlampiger Schrift geschrieben. Gewellt und verblichen, aber ein Papier sticht mir besonders ins Auge. Weil es das Datum dieses Jahres trägt.

Wie automatisch ziehe ich es heraus und falte es auseinander.
Lauter Noten sind darauf gekritzelt, in Druckbuchstaben steht ganz oben der Name des Liedes: Falling

Gierig überfliegen meine Augen die geschriebenen Zeilen. Dabei bleibe ich jedoch an bestimmten Sätzen hängen. Sie bohren sich in mein Herz und lassen es Bluten.
Meine Kehle schnürtsich unangenehm zu und ich habe das Gefühl an meinen eigenen Gefühlen zu ersticken. Ich bekomme schon wieder keine Luft mehr. Ich muss mich auf die Dielen setzen, um nicht umzukippen. Denn was Harry da geschrieben hat.
Was er offensichtlich über mich geschrieben hat.
Das kann ich einfach nicht ertragen.
Dass ich schuld daran bin, dass er sich so schlecht und minderwertig gefühlt hat. Dabei weiß niemand besser als ich, dass er keinen Grund dazu hat.
Und genau deshalb, weil ich ihn Liebe, fällt es mir verdammt schwer all die Zeilen seiner Strophen zu lesen. Weil so viel Schmerz und Traurigkeit in ihnen steckt, dass es mich umbringt.
Weil er sich für all das Entschuldigt, was eigentlich ich ihm angetan habe. Weil er recht hat und ich nicht. Weil ich ihn immer brauchen werde und er das anscheinend nicht weiß.

Meine Hände beben, als ich den Zettel weiter in meinen Händen halte. Ich verkrampfe mich zunehmend und ringe noch immer nach Luft.
Und das ist der Moment, indem ich realisiere, dass nicht der Krebs mich umbringen wird. Nein, es ist der Hass, den ich jetzt mir gegenüber empfinde.
Die Verzweiflung, Harry nie ein guter Freund gewesen zu sein. Und die Angst, dass ich ihm noch so viel mehr Schmerz bereitet habe, als ich jemals imstande wäre zu fühlen.
Ich hasse mich so sehr, dass ich einfach keinen Ausweg weiß.
Weil keine Entschuldigung das wieder gut machen könnte, was passiert ist.
Weil ich ihm mehr Schade, als dass ich ihm gut tue.
Weil ich ihn liebe.
Viel zu sehr, als dass es hätte gut gehen können.
Also bin ich es diesmal, der fällt.

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