Chapter 30 - Heute

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Ich kann hier nicht bleiben, denke ich am nächsten morgen, als ich völlig fertig in mein Wohnzimmer trete. Ohne die Flasche Whiskey in meiner Hand, währe ich überhaupt nicht in der Lage gewesen mein Bett zu verlassen.
Die ganze Nacht habe ich mir die Augen ausgeheult und in mein Kissen gebrüllt. Jetzt bin ich heiser, müde und vermutlich betrunken.

Mein Kopf schmerzt, als ich mich in die Küche schleife, unter mir das knirschen der Scherben. Ich drücke den Anschaltknopf der Kaffeemaschine, woraufhin ein lautes rumoren durch den Raum hallt. „Verdammt halt die Klappe!", fluche ich genervt und drücke mir die Ohren zu. Ich hasse dieses Geräusch, aber noch viel mehr hasste ich es, an einem morgen wie diesem.
Die Wolken hängen wie Schleier über der grauen Stadt, keine guten Aussichten.
Aber im Vergleich zu dem Trauerspiel da draußen, sieht mein Apartment hier drinnen nicht gerade besser aus. Im Ernst, hier müsste dringend aufgeräumt werden...
Immerhin ist heute mein Geburtstag.

Zu Feier des Tages suche ich die nächst beste Flasche an hochprozentigen Alkohol aus meinem Barschrank und verzichte auf ein Glas, indem ich die Flasche auf direktem Wege zu meinem Mund befördere.
Merkwürdig, irgendwie hatte ich das vermisst.

Ich schalte die grölende Kaffeemaschine direkt wieder ab –immerhin bin ich anderweitig versorgt– und drehe im Gegenzug die relativ unbeschädigte high fi Anlage auf, welche Teil meiner Kücheneinrichtung ist. Es ist nur Radio, aber spielen sie ein lautes rhythmisches Lied, welche mich zum Tanzen bringt.
Ich setze noch einen drauf und gröle lautstark und mit schiefer Stimme die Zeilen des Songtextes mit, so gut ich eben kann.

Ich tanze und tanze, bis mir warm und schwindelig wird. Mein Durst wird von dem Bourbon in meiner Hand gelöscht, nicht durch Wasser, was mir sicherlich gut tun würde.

Das Lied läuft aus und der Sender beginnt von den neusten Nachrichten zu berichten.
Gefrustet falle ich in die Sitzkissen meines Sofas, um mich herum werden die Federn hochgewirbelt – was für ein hübsches Bild.

Heute Morgen ereilte uns die traurige Nachricht, dass Louis Tomlinson, ehemaliger One Direction Mitglied und Sänger, sich in der vergangenen Nacht das Leben genommen hat. Die genauen Gründe sind noch unklar, doch ist nicht ausgeschlossen, dass seine Krebserkrankungen ein möglicher Grund für seine Tat war. Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen und Freunden, welche Louis Tomlinson zurück gelassen hat. Wir werden dich schrecklich vermissen!In Gedenken an ihn, spielen wir seine neuste Single: „Just like you". Das erste mal bei Radio New York.

It's the guy from the one band
Cigarette in my left hand
Whole world in my right hand
25 and it's all planned
Night out and it's ten grand
Headlines that I can't stand

Schlagartig spucke ich alles wieder aus meinem Mund aus, was ich eben noch hinunterschlucken wollte. Meine Kehle brennt und ich huste auf. Sofort springe ich auf und renne zurück zur Küche, drehe den gespielten Song lauter, nur damit ich seine vertraute Stimme besser hören kann. Ich versuche mich zu konzentrieren, aber ist das Rauschen vom Alkohol in meinem Kopf stärker als gedacht. Ich beuge mich ein Stück weiter vor, bis meine Ohren zum Bass des mir unbekannten Liedes Brummen. Verdammt, wieso wusste ich nichts von einem neuen Song? Schließlich ist er in der Zeit entstanden, wo wir getrennt waren. Eine Zeit, die ich zu Tiefs verabscheue.

„Harry! Ach du Scheiße, dreh verflucht nochmal dieses Lied leiser!", ertönt es urplötzlich hinter mir. Mein Herz macht vor Schreck einen Satz, als mich zwei große, starke Hände an den Schultern packen und herum wirbeln. Liam starrt in mein Gesicht, seine rechte Hand löst sich von meinen Muskeln und greift zur Anlage hinter mir. Ich merke wie meine Ohren piepsen und die Musik abklingt. Für einen Moment schließe ich vor Benommenheit die Augen, als wäre ich auf einem eigenartigen Drogentrip gewesen. Und als ich sie mit einem zerknautschten Gesichtsausdruck wieder aufschlage, sieht er mich noch immer an. Seine Gesichtszüge gekennzeichnet von Sorgenfalten, welche eine gewisse Betroffenheit ausdrücken. Das er mich nicht loslässt, bedeutet er weiß, wie viel ich getrunken habe. Schließlich ist die halbleere Flasche neben mir kaum zu übersehen...

„Wie geht's dir?", fragt er schließlich vorsichtig und lässt mich los, sodass ich zurückfalle und mein Rücken halt am Tresen findet. Wir haben uns seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen...

„Tut mir leid, dass war ne dumme Frage.", Liam legt seinen Arm um mich und zieht mich näher zu sich heran, sodass mein Gesicht an seine Schulter gedrückt wird.
Er riecht genau wie immer, sieht gleich aus, nur seine Haare sind etwas länger geworden.
Ich habe ihn vermisst, doch drängt sich sofort wieder das Gefühl des Schmerzes zurück in meine Brust, als ich beginne darüber nach zu denken. Immerhin gibt es eine Person, die ich für den Rest meines Lebens schrecklich vermissen werden, und ich weiß nicht, wie ich diesen Schmerz lindern könnte.
„Wieso bist du hier, Liam?", ich lehne mich wieder zurück, sodass ich ihm in die Augen sehen kann. Schließlich verlange ich eine Antwort, wenn er hier einfach so auftaucht, in meiner –naja ehemaligen– Wohnung, ohne Vorwarnung und ... ohne Schlüssel?!

„Gemma hat mich gleich angerufen. Du solltest heute nicht alleine sein Harry. Immerhin... naja.", er streicht sich über die Wangen, auch wenn ich keine Tränen erkennen kann.
„ Ich und Louis, wir standen uns noch recht nahe. Aber ich hatte keine Ahnung, dass er krank war. Dass er überhaupt wieder mit dir–.", er bricht mitten im Satz ab, als er meine Tränen bemerkt. „Tut mir leid.", flüstert er schuldbewusst und streicht mir über die Schulter, ehe er mich auf die Couch katapultiert. Mit einer einzigen Handbewegung fegt er alles beiseite, was sich dort angesammelt hat, sodass wir beide Platz haben. Meinen Kopf stecke ich gleich in eines der Kissen, er soll nicht sehen, wie ich weine.

Ich hasse und liebe Gemma dafür, dass sie Liam angerufen hat, aber musste sie ihm denn gleich die Tür aufschließen? Wenn ich heute nicht gerne alleine gewesen wäre, dann hätte ich mir schon jemanden gesucht. Mein Plan mich bis aufs härteste zu betrinken, ist hiermit jedenfalls gescheitert. Vor allem aus Respekt vor Liam, werde ich mir heute nur noch anti-alkoholische Getränke herunterkippen.
Dabei hätte es mir so viele Schmerzen erspart...

„Hast du heute überhaupt schon etwas gegessen?", fragt er mich und ich schüttle den Kopf.
„Soll ich uns was bestellen?", will er wissen, doch verneine ich.
Liam seufzt kurz, lehnt sich zurück in die Kissen und betrachtet mein Wohnzimmer.
„Na schön, dann lass uns mal los."
„Was?", sage ich perplex und richte mich auf. „Und wohin bitte?"
Er hebt eine Augenbraue und sieht mich verwundert an.
„Willst du etwa hier in diesem Chaos bleiben? Hier musst du erstmal ein Reinigungsteam durch schicken, bevor du hier wieder wohnen kannst, Harry. Ich denke doch, dass ist dir bewusst und deshalb wirst du erstmal mit in meine Wohnung ziehen, verstanden?"
Seine Frage sehe ich als rhetorisch an, also nicke ich nur.
Macht immerhin Sinn, denke ich, wenn ich mich hier genauer umblicke.
„Die Ablenkung wird dir sicherlich gut tun", er streicht meine Schulter. „Dann kannst du mir vielleicht auch erklären, wieso es hier überhaupt alles so fürchterlich verwüstet ist!"
Sein Mahnender Blick bohrt sich durch mich hindurch und mir wird klar, dass er absolut keine Ahnung hat. Woher sollte er auch, doch ist es nicht meine Pflicht ihm alles aus den letzen beiden Wochen offenzulegen.
Immerhin ist es mein Leben.
Das war es jedenfalls, bis heute...
Denn ist das ehemalige „damals", jetzt vergleichbar mit: „ Die Zeit als Louis noch lebte."

...

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