1. Kapitel

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Buch und Antiquitätenhandel Mme. Dubois,

Brighton, England


Merde! Die Worte lagen mir schon auf der Zunge, als ich mich verärgert aufrappelte, um dem Typen, der mich eben umgestoßen hatte, ordentlich die Meinung zu sagen.

Dabei war es nicht die Rempelei, die mich derart verärgert hatte, sondern die Tatsache, dass die wunderschöne Version von Jane Eyre, die ich eben erworben hatte, zerschunden am Boden lag.

Fous-moi la paix!", keifte ich dem jungen Mann entgegen, der sich gebückt hatte und mir das Buch nun schuldbewusst entgegenhielt.

Wutentbrannt riss ich ihm Brontë′s Klassiker aus der Hand und strich sachte mit meinen Fingern über die zerknitterten Seiten. Es sah fast so aus als hätte meine Freundin Zoe es zu lange in den Händen gehabt und überall Eselsohren gemacht. Das arme Buch ...

Aber leider konnte ich mir auch kein neues kaufen – fast mein gesamtes letztes Geld war bereits für diesen Band draufgegangen und ich musste noch etwas für die neuen Studienunterlagen einrechnen. Und meine Chefin würde mir sicher nicht noch einmal einen Mitarbeiterrabatt geben...

Pardon, Mademoiselle. Je... Ähm." Ein nervöses Lachen entfuhr ihm. „ Mon français n'est pas très bon."

Von der melodischen Stimme fasziniert, schoss mein Blick hoch. Irritiert begutachtete ich den Übeltäter – den ausgesprochen gutaussehenden Übeltäter. Auch wenn er etwas zu blass war, für meinen Geschmack. Aber bei dem Wetter in England war das ja auch nicht sonderlich verwunderlich.

Sein volles kurzes Haar lud förmlich dazu ein mit den Fingern hindurchzufahren und die Weichheit der dunklen Locken an der eigenen Haut zu fühlen. Seine tiefgrünen Augen, gemeinsam mit den kantigen Gesichtszügen und hohen Wangenknochen ließen ihn unglaublich heiß wirken. Doch am meisten faszinierten mich seine vollen Lippen, die er schuldbewusst gekräuselt hatte.

So schnell die Wut gekommen war, verflog sie auch wieder. Dass es nicht am wirklich hinreißenden Anblick meines Gegenübers lag, versuchte ich mir vergeblich einzureden. Sofort übernahm das altbekannte Schamgefühl seine Rolle – schließlich war ich ja in IHN hineingerannt. Und dass ich heute noch nicht genug Kaffee in mich hineingeschüttet hatte, war dann nun wirklich nicht seine Schuld.

Ohne dass ich es verhindern konnte, kroch mir ein roter Schimmer über das Gesicht. Ich hoffte inständig, dass dieser heute etwas harmloser ausfiel und mir nicht ein potenziell nettes Gespräch mit dem Typen versaute. Ich hatte schon immer damit gekämpft nicht immer gleich rot zu werden, wenn ich in eine unangenehme Situation kam. Und als nicht einmal mehr das viele Make-up geholfen hatte, hatte ich es vollkommen aufgegeben den nahezu allgegenwärtigen roten Schimmer auf meinen Wangen zu verbergen. Das Gekichere meiner Kollegen war nur einer der netten Nebeneffekte gewesen.

Meine Mutter hatte mir immer versucht einzureden, dass die anderen Mädchen bestimmt auf mein natürliches Rouge eifersüchtig waren. Doch sie hatte nichts davon gewusst, dass man mich in der Schule nur mehr Red-Cheeks nannte.

Nicht dass sie es jemals erfahren hätte – meine Mutter war nie zu den Elternsprechtagen gegangen. Gewollt hätte sie ja, aber wegen ihres Bachspeicheldrüsenkrebses war es ihr sehr schwergefallen überhaupt aufzustehen.

Und jetzt...jetzt würde sie nirgendwo mehr hingehen. Nie mehr.

Bevor ich weiter in schon längst vergangenen Erinnerungen versinken konnte, schüttelte ich den Kopf und steckte mir das Buch unter den Arm. Erneut begann der Junge etwas zu sagen, doch ich wedelte nur mit der Hand.

The Way of our Hearts - Ist Liebe Stärker als die Angst?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt